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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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glich seine Stimme einem leidenden Koloratursopran, und wenn er ein Wesen in der Ferne erblickte, das ebenso »männlich« wirkte wie er selbst, spreizte er die beringten Fingerchen und eilte mit tänzelnden Schrittchen auf sein Opfer zu, sodass man befürchten musste, er würde im nächsten Moment zu Boden sinken und vor Begeisterung mit dem Schwänzelein wedeln. Leider hatte ich nie das Glück, diese Apotheose zu erleben. Dafür hörte ich, wie er eines Abends versehentlich rülpste und dazu meinte: »›Hubs‹ sprach der Lachs, da bin ich!«
    All das entsetzte mich anfangs maßlos. Solche Leute und solche Lebensgewohnheiten hatte es in meinem Elternhaus nicht gegeben. Im Laufe der Zeit lernte ich aber, über all das hinwegzusehen: Frau Gruber war nun mal so! Womit sie sich so gern umgab, war ebenso falsch wie sie selbst. Sie war gar kein Mensch, sondern nur eine Imitation. Sie plapperte Dinge vor sich hin, die sie irgendwo gehört, aber nie verstanden hatte, und das war nicht nur brutal und skrupellos, sondern vor allem dumm. Ich verlor alle Achtung vor ihr, und das entging ihr wiederum nicht.
    »Am besten, du gehst zurück zu deinen Eltern!«, pflegte sie häufig zu sagen. »Du kannst ja behaupten, du hättest es dir anders überlegt und würdest nun doch lieber Ärztin werden.«
    »Ich will aber immer noch Tänzerin werden, Frau Gruber!«
    »So?«
    Dieses »So?« , war in aller Regel der Beginn einer Strafpredigt, im Verlauf derer Frau Gruber mir klar machte, dass alles, was ich sagte, falsch war. Was ich war, war nie genug: Ich war nicht hübsch, nicht charmant, nicht begabt genug … Sie versuchte mit allen Mitteln, mich klein zu machen, und ich ließ mir das widerspruchslos gefallen, denn ich wollte nun mal eine berühmte Primaballerina werden – unbedingt!
    Meine Rechnung schien aufzugehen. Knapp sechzehnjährig, mitten in der Spielzeit, bekam ich schon mein erstes Engagement, im Theater meiner Heimatstadt. Es war kein besonderes Theater. Architektonisch war das Gebäude zwar hypermodern und mit allem Komfort ausgestattet, den es damals gab, aber was die künstlerische Klasse anging, so rangierte diese Bühne irgendwo zwischen der Hamburgischen Staatsoper und den Gummersbacher Bühnen. Aber es war mein Theater: Von hier aus wollte ich den Rest der Welt erobern, und dafür war mir keine Qual zu groß. Frau Gruber sah diese Kompromisslosigkeit gern und zwang mir einen bestimmten Lebensrhythmus auf.
    Morgens rappelte mein Wecker. Noch im Halbschlaf vollführte ich die so sehr geschätzten und ach so anregenden Yoga-Atemübungen, dann sprach ich mein Morgengebet, nahm ein Bad, und anschließend gab es ein gemeinsames Frühstück. Das bestand aus Tee und Toast. Ich hasste beides, denn ich liebte Kaffee und frische Brötchen. Was ich liebte, interessierte Frau Gruber jedoch wenig, und so sah sie mir allmorgendlich dabei zu, wie ich den Tee mit verzerrtem Gesicht herunterwürgte und den Toast von einem Tellerende zum anderen schob.
    Sie behielt ihre Prinzipien und ich einen knurrenden Magen.
    Um halb zehn traf ich, streng nach Plan, im Theater ein, grüßte den Pförtner und huschte durch dunkle Gänge hinauf in die dritte Etage, wo ich die Garderobe mit fünfzehn anderen Mädchen teilte. Eines davon war Hilary Johnson. Sie war zwei Jahre älter als ich, und ihr eigentlicher Name war erschütternd provinziell. Deshalb habe sie sich einfach einen neuen gesucht. »In diesem Land«, erklärte sie mir, »musst du entweder Neger oder DDR -Flüchtling sein, wenn du Karriere machen willst. Bist du beides nicht, hilft nur noch ein amerikanischer Name, das muss man realistisch sehen.«
    Hilarys Realitätssinn faszinierte mich. Sie stammte aus erbärmlichen Verhältnissen. Der Vater war Alkoholiker und hatte sie und ihre drei Geschwister regelmäßig verprügelt, die Mutter hatte als Putzfrau das Geld für die Ausbildung der Tochter zusammengespart.
    »Dahin will ich nie wieder zurück!«, schwor Hilary mehrmals täglich. »Ich tue alles, um Karriere zu machen. Alles!«
    Was Hilary unter »alles« verstand, eröffnete mir eine völlig neue Welt. Es gab im Umkreis von vielen, vielen Kilometern kaum einen Mann, den sie nicht »näher« kannte, und all diese Männerbekanntschaften brachten ihr im Verlauf weniger Monate eine komplette Wohnungseinrichtung ein und jede Menge Interviews in den Zeitungen.
    »Beziehungen zur Presse muss man pflegen«, erklärte sie mir. »Wenn man oft genug in der Zeitung steht, wird man ganz von

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