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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MERIEL FULLER
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duckte sich unter einem tief hängenden Zweig und lächelte still in sich hinein. Sie wusste natürlich auch, dass er nicht damit einverstanden gewesen wäre, dass sie allein reiste. Ein Stich der Trauer fuhr ihr ins Herz. Nach all den Jahren vermisste sie seinen Rückhalt, seine weisen Ratschläge noch immer. Anselm war stets der ausgleichende ruhende Pol, im Gegensatz zu ihrer ruhelosen, leicht erregbaren Mutter.
    Während sie gedankenversunken dahin ritt, eingelullt vom stetigen Rauschen des Flusses zu ihrer Linken, bezog sich der Himmel zunehmend mit schweren grauen Wolken, die den Pfad am Waldrand verdunkelten. Emmeline drückte dem Pferd die Absätze in die warmen Flanken und wechselte in eine schnellere Gangart, um nicht vom Regen bis auf die Haut durchnässt zu werden. Der Wind heulte in den kahlen Baumwipfeln, und plötzlich hörte sie ein anderes Geräusch. Sie zog die Zügel an, brachte die Stute zum Stehen und versuchte es mit seitlich geneigtem Kopf zu orten. Der Wind trug ein metallisches Klicken, das unverkennbare Klirren von Zaumzeug zu ihr herüber. Und dann hörte sie gedämpfte dunkle Stimmen.
    Mit klopfendem Herzen schwang sie ein Bein über den Hals des Tieres und sprang in einer Wolke grauer Röcke zu Boden, wobei sie versuchte, das Gewicht auf den gesunden Fuß zu verlagern. Gehetzt Ausschau haltend nach einem Versteck, kletterte sie den steilen Abhang hinauf, um sich und die Stute hinter Bäumen und Gestrüpp zu verbergen. Brombeerdornen rissen an Umhang und Bliaut, zerkratzten ihr Gesicht und Arme und verhedderten sich in ihrem Leinenschleier, als ihr die Kapuze in den Nacken rutschte. Mit halb zugekniffenen Augen tastete sie sich voran, bis ihre Finger gegen Stein stießen: Ein riesiger Felsbrocken versperrte ihr den Weg. Erleichtert brachte sie das Pferd und sich selbst dahinter in Sicherheit, lehnte sich mit schlotternden Knien gegen den kühlen Stein und rang nach Atem. Erst jetzt machte sie sich klar, als die Angst in ihr aufstieg, dass sie einen Fehler begangen hatte, ohne Begleitung durch diese einsamen und undurchdringlichen Wälder zu reiten.
    Unten auf dem Pfad näherten sich dunkle Männerstimmen. Dennoch konnte sie nicht widerstehen, den Hals zu recken und in die Tiefe zu spähen. Sie hatte es gerade noch geschafft. An der Wegbiegung tauchten zwei glänzend gestriegelte Pferde auf …
    Nein … das durfte nicht wahr sein!
    Sie erkannte den unerträglichen Lord Talvas auf den ersten Blick. Er ritt vorneweg, hoch aufgerichtet im Sattel seines Rappens, in seiner typisch herrischen Art, mit einem wachsam suchenden Ausdruck im Gesicht. Hatte er sie gehört? Sein Gefährte Guillame ritt hinter ihm, dessen flachsblondes Haar einen starken Kontrast zum rabenschwarzen Lockenkopf seines Herrn bildete. Emmeline durchlief ein Schauder, das Blut rauschte ihr in den Adern. Die dunklen Schatten, die die Bartstoppeln im Gesicht von Lord Talvas hinterlassen hatten, waren verschwunden; er war jetzt glatt rasiert. Fasziniert blickte sie in das schöne Gesicht des Mannes, der unter ihr vorbeiritt. Hohe Wangenknochen verliehen ihm einen lauernden, raubtierähnlichen Ausdruck. Sein schön geschwungener Mund mit energischer Oberlippe und voller sinnlicher Unterlippe zeigte in den Mundwinkeln feine Grübchen.
    Eine befremdliche Hitze durchströmte sie, blitzschnell wich sie hinter den Felsen zurück, presste die Wange an den rauen Stein und atmete den Geruch nach feuchtem Moos ein. Ein merkwürdiges Schwindelgefühl ergriff sie, machte ihr das Denken schwer. Lord Talvas hatte die Kleider gewechselt, deren Pracht keinen Zweifel an seiner adeligen Herkunft ließ. Seine grüne Tunika aus feinster Wolle, vom Knie bis zur Hüfte geschlitzt, um genügend Bewegungsfreiheit im Sattel zu gewähren, war an Saum und rundem Halsausschnitt mit reicher Goldstickerei versehen. Die Ärmel seines dunkelgrünen Überwurfs reichten bis zu den Ellbogen. Der kurze blaue, pelzgefütterte Umhang um seine breiten Schultern blähte sich im Wind und wurde am Hals von einer juwelenbesetzten Spange gehalten.
    Während die Reiter unter ihr passierten, wieherte eines der Pferde leise, worauf ihre Stute ebenso leise antwortete, den Kopf senkte und mit einem Vorderhuf ins welke Laub schlug. Emmeline spannte jeden Muskel an, wagte vor Angst kaum zu atmen und hoffte inständig, die Reiter hätten nichts gehört.
    Talvas aber zog bereits die Zügel an, drehte sich halb im Sattel um und legte die Hand an den Schwertgriff. Guillame zog

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