Zwei Herzen im Winter
die Dienerin protestieren konnte, und blickte sich suchend nach ihrem schlichten Untergewand um.
Beatrice setzte ein schuldbewusstes Gesicht auf.„Ich habe mir erlaubt, Eure Kleider zum Waschen zu bringen. Sie waren nass und schmutzig. Habe ich etwas falsch gemacht?“
Emmeline beeilte sich, das schlechte Gewissen des Mädchens zu beruhigen. „Nein, Beatrice. Ich bin nur nicht daran gewöhnt, bedient zu werden. Ich bin dir für deine Hilfe dankbar.“
Eifrig streifte Beatrice ihr ein loses Untergewand aus hellgrüner feiner Wolle über, dessen schmale Ärmel an den zarten Handgelenken endeten. Emmeline entfuhr ein spitzer Laut des Erstaunens, als Beatrice ihr ein Übergewand aus goldgelber Seide vorhielt, Ausschnitt und Saum mit kunstvollen Ornamenten bestickt. Das Muster wiederholte sich auch an den weiten Tütenärmeln, die beinahe bis zum Boden reichten. Während Beatrice die seitlichen Bänder des Bliauts verschnürte und dadurch die Rundungen ihres Busens betonte, befiel Emmeline ein befremdliches Gefühl der Enge. Sie kam sich vor wie eine Gefangene und hätte sich am liebsten die schweren Gewänder vom Leib gerissen, um den engen Mauern der Burg zu entfliehen und nach Barfleur zu reiten, wo sie sich geborgen fühlte. Andererseits drohte ihr in Torigny keine direkte Gefahr … es sei denn von diesem Lord Talvas. In seiner Nähe fühlte sie sich beklemmend schutzlos. Er gab ihr das Gefühl, als wandere sie auf einem schmalen Grat über einen tiefen Abgrund – ein gefährlicher Weg, der sie einem ungewissen Schicksal zuführte. Seine Nähe machte sie beklommen. Nein, es war nicht die Burgfeste, der sie entfliehen wollte, sie wollte ihm entfliehen.
„Madame, Euer Beutel.“ Emmeline nickte, strich zerstreut über die Stickerei, bevor sie den Gürtel des Bliauts durch die Schlaufen fädelte. Als Beatrice mit großer Sorgfalt ihr goldschimmerndes Haar flocht und hochsteckte, begann sie unruhig auf dem Hocker zu zappeln. Die Zofe ließ sich nicht beirren, legte ihr einen durchsichtigen Gazeschleier auf den Scheitel, darüber einen schmalen, fein ziselierten Silberreif, den sie mit langen amethystverzierten Nadeln befestigte.
Beatrice trat einen Schritt zurück und bewunderte ihr Werk. „Madame!“, rief sie begeistert und klatschte in die Hände. „Ihr seid eine Schönheit.“
Emmeline sprang ungeduldig auf, ohne die Begeisterung der Zofe zu teilen, und strich über die fließenden Falten des Gewandes, die ihre schlanke Figur umspielten.
„Es ist hübsch“, bestätigte sie befangen. „Aber eigentlich fühle ich mich in diesen prächtigen Kleidern nicht wohl. Und nun zeige mir bitte den Weg zur Halle.“
Guillame führte Talvas’ schnaubendes Streitross in den hinteren Teil des weitläufigen Stalls von Torigny, in dem sich der Geruch von Heu mit dem von Pferdemist mischte, vorbei an Stallknechten, einige nicht älter als sechs Jahre, magere Bürschchen in abgerissenen weiten Bauernhosen und kurzen Kitteln, die ihre Arbeit verrichteten. Guillame lehnte die Schulter gegen die Flanken des Hengstes und zwang ihn mit sanftem Druck seitwärts, um ihn an dem in der Mauer eingelassenen Eisenring festzubinden. Danach schüttete er reichlich Hafer in den Futtertrog und schaute mit zufriedener Miene zu, wie der große Hengst und sein eigenes kleineres Jagdpferd nach dem anstrengenden Ritt den Hafer geräuschvoll malmten.
Bald danach machte er sich daran, die lehmverkrusteten Flanken des Hengstes mit einer Drahtbürste zu säubern, ohne eigentlich zu sehen, ob seine Mühe sich lohnte, da das Kohlenfeuer, das von einem übergestülpten Eisenkorb gegen Funkenflug geschützt war und sich im mittleren Teil des Gangs befand, sein Licht kaum bis in den hinteren Winkel schickte. Versunken in den gleichmäßigen Rhythmus seiner Bürstenstriche, erschrak Guillame, als er Talvas’ Stimme neben sich hörte.
„Wieso überlässt du die Arbeit nicht den Stallburschen?“ In der Stimme schwang ein gereizter Unterton.
Guillame lächelte. „Nein, das mach ich lieber selbst. Die Tiere sind an mich gewöhnt.“ Er hielt inne und klopfte den Staub aus der Bürste. Talvas hatte ihn gewiss nicht aufgesucht, um Belanglosigkeiten auszutauschen. „Wie war deine Unterredung mit der Kaiserin?“
Talvas verzog das Gesicht, warf einen Blick über die Schulter und trat in den Verschlag. Mittlerweile waren die Knechte verschwunden, um das Festmahl nicht zu versäumen. „Hätte ich dieses törichte Weib bloß ihrem Schicksal
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