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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MERIEL FULLER
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blauen Augen suchten die ihren. „Wie ist das geschehen? Gewiss nicht heute Nacht.“
    Emmeline schüttelte den Kopf. „Nein, es ist eine alte Verletzung.“ Ihre Stimme bebte angesichts der Erinnerung: Der gewaltige Stoß in den Rücken, das wackelige Holzgeländer, an dem sie vergeblich Halt suchte, bevor sie zusammengekrümmt unten auf dem Boden aufprallte, von einem wahnsinnigen Schmerz im rechten Bein durchbohrt. Dann Giffards Gesicht, aufgedunsen und fett, der Speichel troff ihm aus den Mundwinkeln, als er wie ein Irrer lachte und von oben auf sie herunterglotzte.
    „Deshalb hinkt Ihr“, sagte Talvas leise. „Ich hätte es mir denken müssen.“ Er nahm ihre Hand, die Schwielen seiner Finger drückten sich in ihre Handfläche. Ein starker Griff und dennoch unendlich weich, dass sie es nicht über sich brachte, sich ihm zu entziehen.
    Sie errötete unter seinem eindringlichen Blick, glaubte in den Tiefen seiner blauen Augen zu ertrinken. Jäh entriss sie ihm ihre Hand und zog hastig die Röcke über die hässlichen Narben. „Das ist lange her. Ich denke gar nicht mehr daran.“ Sein Mitleid, seine Besorgnis hatten ihr gerade noch gefehlt.
    „Wie ist das geschehen?“, wiederholte er unbeirrt, sich der lastenden Stille in der Stube wohl bewusst. Geoffrey und Marie wussten gewiss darüber Bescheid.
    „Ich bin gestürzt“, erklärte sie tonlos. „Ich habe mich ungeschickt angestellt.“
    Talvas richtete sich auf und fragte sich, was sie hinter ihrer verschlossenen Miene, ihrer knappen Erklärung verbarg. Ihre Hände umklammerten die Armlehnen des Stuhls, auf den sie sich gesetzt hatte, so fest, dass ihre Knöchel weiß schimmerten. In seinem Gesicht war ein deutliches Zucken zu erkennen. Im Stuhl zurückgelehnt, glich sie einer zerbrochenen Puppe in ihrem moosgrünen Bliaut. Ihr ungestümer Geist, ihre sprühende Lebendigkeit, ihr starker Wille schienen gebrochen zu sein. Sein Blick ruhte noch lange sinnend auf ihr, bevor er sich zum Gehen wandte.
    „Ich verabschiede mich, Madame.“ Er nickte ihr zu. „Wir sehen uns später.“
    Ihr feindseliger Blick streifte ihn. „Es lässt sich ja wohl nicht vermeiden“, murmelte sie und richtete den Blick ins Feuer. Diese besorgte Miene ertrug sie nicht. Seine Arroganz war ihr lieber, mit Anmaßung konnte sie umgehen. An Abneigung und Hochmut war sie gewöhnt, davor wusste sie sich zu schützen – das hatte ihr Giffard beigebracht.
    „Danke für die Gastfreundschaft.“ Talvas verneigte sich höflich vor Marie und verließ das Haus. „Ich wünsche Euch eine gute Überfahrt, Mylord“, sagte Geoffrey, der ihn begleitete. Und draußen vor der Tür fügte er im Flüsterton hinzu: „Ihr Ehemann Giffard hat ihr das angetan.“
    Seemöwen kreisten kreischend über ihrem Kopf, als Emmeline von der Mole den Ochsenkarren beobachtete, der über den Schotter in ihre Richtung holperte. Verärgert verschränkte sie die Arme vor der Brust. Das war zu viel! Die Ladung eines Karrens war bereits mit zwei Lastkähnen zur Belle Saumur hinübergerudert worden. Und nun sollten weitere Kisten und Truhen folgen, zweifellos vollbepackt mit den Kleidern der Kaiserin. Missmutig nagte sie an ihrer Unterlippe.
    „Seid unbesorgt, Madame, der Frachtraum ist groß genug“, sagte Talvas, der neben sie getreten war, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Seine hünenhafte Gestalt schützte sie vor dem Wind vom Meer her.
    Sie blickte zu ihm auf. „Ich … ich dachte, Ihr seid bereits an Bord.“ In Wahrheit hatte sie ihn gemieden. Zu wissen, dass er ihr verletztes Bein gesehen hatte, behagte ihr ganz und gar nicht, gab ihr das Gefühl, minderwertig zu sein, und das störte sie über die Maßen.
    Er hatte sie vom Schiff entdeckt, wie sie an der Mole stand, eine einsame Gestalt, die mit besorgter Miene das Verladen des Reisegepäcks verfolgte, die Arme gegen den scharfen Wind schützend um sich geschlungen. Bei ihrem verlorenen Anblick hatte ihm ein seltsames Gefühl die Brust verengt und ihn veranlasst, in einen leeren Frachtkahn zu springen, um an ihrer Seite zu sein.
    „Ich war bereits an Bord.“ Sein Lächeln verwirrte sie. „Aber dann dachte ich, Ihr braucht vielleicht Unterstützung bei der Überwachung, ob das Gepäck ordnungsgemäß verladen wird.“
    „Nein danke. Jemand müsste eher dafür sorgen, dass mein Schiff nicht überladen wird.“ Emmeline wies mit dem Arm zu den bauchigen Ledertaschen und Truhen hinüber, die sich auf dem Schotter stapelten.
    Er lachte und zeigte seine

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