Zwei Herzen im Winter
wulstigen Finger und drückte dem Pferd die Sporen in die Flanken. Das Töten fiel ihm leicht. Auch sein Vater und sein Bruder hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, beinahe jeden Tag auszureiten, um rivalisierende Barone anzugreifen. Sie plünderten und brandschatzten in blutrünstiger Gier, um mehr Land, mehr Gold an sich zu raffen. Er und seine Sippe würden alles tun, um Maud auf den Thron von England zu verhelfen, nicht nur weil sie eine entfernte Blutsverwandtschaft verband. Maud hatte seiner Sippe Gold und Landbesitz versprochen für den Treueschwur. Wenn es ihm gelang, Stephens Pläne zu vereiteln, würde er als Held gefeiert werden, vermutlich sogar in den engen Kreis der Ratgeber der Kaiserin aufgenommen werden. Edgar leckte sich die Lippen, glaubte bereits, die Süße der Macht zu kosten. Ein schwindelerregendes Glücksgefühl weitete ihm die Brust. Er wusste, wie er Stephen dahin bringen konnte, wo er ihn haben wollte, bis der Usurpator ihn um Gnade anwinselte. Um sein Ziel zu erreichen, wollte er Lord Talvas und diese Emmeline de Lonnieres benutzen. Er musste die beiden nur noch finden.
Der Wind trug leise Stimmen zu ihm herüber. Edgar riss an den Zügeln und brachte sein Pferd zum Stehen, drehte den Kopf nach links und nach rechts, um zu hören, aus welcher Richtung das Raunen kam. Danach hievte er seine Leibesfülle unbeholfen aus dem Sattel, schlang die Zügel über einen tief hängenden Ast und ging gebückt durchs Unterholz. Der weiche Waldboden verschluckte seine Schritte. Bald hatte er einen freien Blick auf eine Lichtung, sah das schimmernde blonde Haar der Frau, neben ihr lag Talvas, halb ausgestreckt auf einem ausgebreiteten Umhang. Edgar stellte augenblicklich fest, dass er dem hünenhaften Ritter im Zweikampf hoffnungslos unterlegen wäre. Mit der Frau hätte er leichtes Spiel. Er musste sich nur einen Plan zurechtlegen, wie er sie von ihm fortlocken konnte. Mit wachsendem Interesse und Erstaunen beobachtete er, wie Talvas sich vorbeugte und Emmeline küsste. Edgars Atem beschleunigte sich, je inniger der Kuss sich vertiefte. In seiner Neugier machte er einen unbedachten Schritt, ein Zweig knickte unter seinen Sohlen. Das Paar fuhr erschrocken auseinander. Edgar suchte schleunigst Deckung hinter einem Baum und schlich in gebückter Haltung zu seinem Pferd zurück, ein böses Lächeln umspielte seine wulstigen Lippen. Er hatte einen Plan.
„Wer da?“, rief Talvas mit donnernder Stimme und stellte sich schützend vor Emmeline.
Edgar schlenderte gemächlich auf die Lichtung, sein Pferd am Zügel führend, sein scharlachroter Umhang, den er sich von einem der schlafenden Soldaten „geborgt“ hatte, leuchtete hell im verwaschenen Graubraun des Winterwaldes. „Ich bin es, Robert of Ilminster“, log er dreist. Da er Sylvies Schwester nie begegnet war, würde sie nicht ahnen, wer sich hinter dem falschen Namen verbarg.
„Seid Ihr ein Gefolgsmann von Stephen oder von Maud?“, fragte Talvas herausfordernd und musterte den beleibten, kurzbeinigen Fremden misstrauisch. Sein muskulöser rechter Arm lag am juwelenbesetzten Heft seines Schwertes.
„Ich kämpfe für Stephen“, erklärte Edgar und überkreuzte zwei Finger im Rücken, in der naiven Hoffnung, seiner Lüge Nachdruck zu verleihen. „Er schickt mich, um Euch zu unterstützen, Lord Talvas.“
„So, so … Davon erwähnte er mir gegenüber allerdings nichts.“ Talvas furchte die Stirn. „Und ich entsinne mich nicht, Euer Gesicht im Gefolge seiner Soldaten gesehen zu haben.“
„Ich kam erst gestern Nacht nach Waldeath … aus Winchester.“ Edgar rief sich rasch die Gespräche in Erinnerung, die er heimlich belauscht hatte, um seinen Behauptungen Überzeugung zu verleihen. „König Stephen schickte einen Boten nach Winchester, um Truppenverstärkung für seinen Marsch auf Sedroc anzufordern. Ich reite voraus, um Ausschau für einen geeigneten Lagerplatz zu halten.“
Talvas nickte. Der Mann sprach offensichtlich die Wahrheit. Woher sollte er sonst von dem Vorhaben wissen, wenn er nicht mit Stephen persönlich gesprochen hatte? Stephens Plan war, Talvas und Emmeline heimlich in die Burg einzuschleusen und Sedroc mit verstärkten Truppen zu belagern, um Mauds Flucht zu vereiteln. „In diesem Fall seid Ihr willkommen, mich zu begleiten …“ Er zögerte einen Moment und warf Emmeline einen prüfenden Blick zu, die immer noch auf dem Umhang saß. Wie sollte er dem Ritter die Frau vorstellen, die ihm mit jedem Tag mehr ans Herz
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