Zwei Krankenschwestern auf dem Jakobsweg
Herbergshelfer kommt noch kurz und
schaut nach dem Rechten und bittet mich den Strom ordentlich auszuschalten. Das
werde ich tun und wünsche ihm ein freundliches „Buenas noches!“
14. Oktober 2011, Freitag, Azofra - Granon, 22 km, Sonne,
25ºC
Die Herberge in Azofra steht in unserer Herbergs-Hitliste
jetzt an erster Stelle.
Hier haben wir uns wirklich wohl gefühlt, nettes Personal, alle Möglichkeiten
für unsere Versorgung (Waschmaschine, Internet, großer Essenraum), saubere
Unterkunft mit ausreichend Platz und Privatsphäre. Modern und doch gemütlich,
es hat gestimmt. Der Morgen gestaltet sich wie immer. Ich stehe vor Karola auf,
wenn ich meine Morgentoilette beendet habe und die Zeit zum Aufstehen gekommen
ist, wecke ich sie. Sie staunt dann, dass die Nacht schon wieder um ist, steht
aber zügig auf und eilt zum Waschraum. Ich räume dann schon mal meine Sachen in
den Rucksack und beginne mit meiner Versorgung der Füße. Mittlerweile bin ich
darin schon so routiniert, dass es flott erledigt ist. Karola hat inzwischen
auch alles beisammen und dann verlassen wir den Schlafraum, um im
Aufenthaltsraum zu frühstücken, sofern es solch einen Raum gibt. Heute haben
wir diesen Raum und setzen uns auf eine Bank. Karola besorgt 2 Kaffee aus dem
Automaten, dazu eine Banane, vielleicht ein paar Kekse. Das reicht bis zur
ersten Frühstücksbar. Einige bekannte Pilger sitzen mit uns im Raum, aber so
früh am Morgen haben wir uns noch nicht viel zu erzählen. Die Frage, die man
sich fast immer gegenseitig stellt: ”Wie weit geht es heute, was ist heute euer
Ziel?” David sitzt auch noch beim Frühstück, er will heute bis Santo Domingo de
la Calzada, das sind 15 Kilometer.
Um 8.00 Uhr müssen wir die Herberge verlassen haben. So steht es im Führer.
Mittlerweile haben wir gemerkt, dass diese Regel im Herbst nicht ganz ernst
genommen wird. 8.15 Uhr stehen wir abmarschbereit vor der Herberge und schauen
wehmütig zurück. Heute ist es etwas frisch, 16 °C, aber die Sonne begleitet uns
auch heute wieder und erwärmt die Luft im Laufe des Tages auf 25 °C. Mir ist
richtig kalt und ich funktioniere ein Paar Socken zu Handschuhen um, bis die
Temperaturen erträglicher sind. Der Weg führt uns bald zur Autobahn und wir
laufen die meiste Zeit, auf schnurgeraden, tristen Schotterwegen, neben ihr
her. Es gibt keine schattigen Stellen, an denen wir pausieren können. Die Wege
sind teilweise von Erntefahrzeugen so zerfahren, dass das Laufen zur Tortour
wird. Wir haben das Weinanbaugebiet wohl hinter uns gelassen, denn die
Weinberge wurden von riesigen Getreidefeldern abgelöst. Weite Ebenen und
hügeliges Land, eigentlich nicht schwer zu laufen. Heute scheint nicht unser
Tag zu sein. Wir kommen nicht richtig in Tritt. Es gibt manchmal so Tage, wie
man das auch im normalen Leben kennt. Karola hat Probleme mit ihrer Schulter
und bei mir kommen später allerhand Beschwerden mit den Füßen dazu. Wir halten
immer wieder an, weil Karola versucht, durch Veränderungen am Rucksack, ihren
Schmerz in Griff zu bekommen. Bei einer dieser Pausen offenbare ich Karola -
auch um sie von ihren Schmerzen abzulenken die Gedanken die mir gerade so
entstanden sind. Ich habe noch nie so viele Menschen verschiedener
Nationalitäten in so kurzer Zeit kennen gelernt. Man konnte sich die
Verschiedenartigkeit der Nationen - schon gar nicht wenn man in der DDR
aufwuchs - vorstellen. So sammeln wir im Gedanken zusammen, welche
Volkszugehörigkeiten uns schon so untergekommen sind und welche Marotten uns
besonders auffielen:
- Briten sind von sich überzeugt und ungekünstelt
- Franzosen sind klein, schmal, charmant und essen wenig
- Finnen sind gelassen und trinken gern, die Schweden genauso
- Deutsche sind reserviert
- Spanier sind laut und sehr gesellig
- Holländer sind laut, nett, man kann ihnen wegen ihres netten
Dialekt nicht böse sein
- Dänen, die wir trafen, waren ganz und gar nicht nach unserem
Geschmack
- Asiaten scheinen sich gern mal zu überschätzen, beißen aber
die Zähne zusammen und ziehen ihr Ding durch.
Die Deutschen unter sich wäre noch ein anderes Thema. Die Schmerztablette und
das Gespräch haben wohl etwas geholfen, entspannter geht es weiter. Jeder kramt
in seinem Gehirn, ob er noch andere Menschen kennt, die in unsere Tabelle
passen.
Mittlerweile kann man in der Ferne einen Ort erkennen. Laut Pilgerführer
handelt es sich um das Dorf Cirinuela. Linkerhand am Weg wurden zum
Sonnenschutz Birken gepflanzt. Als wir näher
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