Zwei Krankenschwestern auf dem Jakobsweg
doch zur Kirche rüber
und so bezahlen wir. Der Wirt bringt uns sogar noch vor die Tür und wir machen
noch Fotos. Er lässt uns nicht, ohne Küsschen auf beide Wangen, gehen.
Wir müssen also in unsere Kirche zurück. Zu allem Überfluss sitzt die gesamte
Pilgerschar beim Essen zusammen und wir müssen, um zu unseren Matten zu kommen,
an ihnen vorbei. Wir sind erleichtert als wir endlich außer Sichtweite sind.
Gegen 21.00 Uhr leert sich endlich der Raum. Sie sind alle zur Spätmesse
gegangen. Nur der Küchengeruch zieht zu uns nach oben. Aber leider geht so eine
Messe nicht ewig und die laute Pilgermeute kehrt zurück. Jetzt merke ich erst,
dass es heute eine Trennung der Geschlechter gibt. Mit uns auf dem harten
Untergrund nächtigen hier noch 10 andere Frauen. Um 22.00 Uhr wird das Licht
gelöscht und meine längste Nacht beginnt. Karola hat auch Angst, dass sie hier
nicht schlafen kann, diese Angst ist unbegründet. Ich beneide sie heute Nacht
um ihren seligen Schlaf. Ich drehe mich von einer Seite auf die Andere, weil
ich einfach nicht einschlafen kann und ich mir über Nacht auch keinen Dekubitus
auf der harten Matte holen will. Für solche Extremfälle habe ich aber noch ein
letztes Mittel, ein Schlafmittel. Im Dunkeln suche ich und finde es auch und
muss nun die Wirkung geduldig abwarten. Ich falle dann in einen unruhigen
Schlaf, der bis ca. 4.00 Uhr anhält. Na besser als gar nicht geschlafen denke
ich, bleibe noch eine Weile ruhig liegen, lausche Karolas leisem Schnarchen und
denke mir: „Die hat‘s gut!“ Irgendwann halt ich es nicht mehr aus, schnappe
mein Waschzeug, Taschenlampe und Schreibzeug und gehe in den unteren
Wohnbereich. Ich lasse mir viel Zeit und nach der Toilette setze ich mich auf
den alten Sessel, der am Empfang steht und schreibe noch Tagebuch. Gegen 6.00
Uhr kehre ich wieder auf meinen Schlafplatz zurück und warte ab, bis das Licht
angeschaltet wird. Ich wecke Karola, die bis jetzt phantastisch unter dem
Kirchendach geschlafen hat.
15. Oktober, Sonnabend, Granon - Belorado, 16,5 km,
Sonne, 29 ºC
7.00 Uhr verlassen wir also die geistliche Unterkunft und
wenden uns, wie jeden Morgen seit 11 Tagen, Richtung Westen. Weiter geht es auf
dem Camino. Zunächst durch die Gassen des Dorfes Granon. An seinem Ende
befindet sich ein Trinkbrunnen mit Sitzgelegenheit. Hier halten wir kurz an und
improvisieren ein kleines Frühstück. Denn heute sind wir zum ersten Mal ohne
Essen aus dem Haus. Wir wollten einfach nur weg. Nun sitzen wir hier 7.30 Uhr
am Morgen, es ist noch dunkel, bei unseren Keksen. Eine Stunde noch, dann geht
die Sonne auf. Bis dahin werden wir mit unseren Stirnlampen den Weg
ausleuchten. Die Kekse bringen uns schon mal in bessere Stimmung und
vertrauensvoll beschreiten wir den heutigen Weg. Bald wird es schummrig und wir
können die Lampen wieder wegstecken. Meine Fußblasen, die ich mir gestern
erlaufen habe, lassen mich verzweifeln. Nun glaube ich schon nicht mehr daran,
das Ziel heute zu erreichen. Die Stimmung ist gedämpft, da uns das erlebte doch
ziemlich runter zieht. Gerade vor ein paar Tagen habe ich Karola aus Janos
Kertesz Buch: „Vier Millionen Schritte bis ans Ende der Welt“ vorgelesen, wie
isoliert Janos sich in ähnlichen Situationen vorkam. So fühlen wir uns wohl
auch. Karola bemerkt mein Tief natürlich und spricht mir Mut zu: „Alles wird
gut!“ Natürlich wird alles gut, aber davon will ich in diesem Augenblick nichts
wissen. Nach etlichen Pausen und dem bereits zum 3. Mal veränderten Fußverband
kann ich endlich vernünftig laufen. Nach 2 Stunden Fußmarsch erreichen wir
endlich einen Ort, in dem wir Kaffee bekommen. Die Strecke hat heute keine
Besonderheiten zu bieten. Getreidefelder so weit das Auge blickt, eine einzige
Monotonie. Nach der Kaffee-Pause geht das Laufen schon zügiger, wenn auch nicht
schmerzfrei. Die Sonne strengt sich auch wieder an und wir bekommen heute 28 °C
und einen wolkenlosen, blauen Himmel.
Mit dem Wetter hatten wir bisher großes Glück, an zwei Tagen hatten wir
Nieselregen, an zwei weiteren Tagen hatten wir windiges Wetter. Es wirkte auf
uns aber eher erfrischend, als das es gestört hätte. Heute erreichen wir nach
16,5 Kilometern unser Ziel Belorado. Selten waren wir so froh, das
Eingangsschild zu sehen, so sehr quälen uns die Schmerzen. Wir wollen heute
einfach unsere Ruhe haben. Da gibt es eine Herberge im Dorf mit wenigen Betten.
Hier wollen wir bleiben. Wir sind uns sicher, dass die Dänen, denen wir heute
nicht
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