Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
Glas. »An einem klaren Tag vermag man von hier oben meilenweit zu blicken. Und wenn du in die Ferne schaust und dich anstrengst, dann kannst du einen schmalen Streifen Blau erkennen, eine Nuance dunkler als der Himmel. Das ist das Meer, Merry. Gleich hinter der Küste von Devonshire.« Seine Daumen streichelten über ihre Schultern. »Jetzt ist es leider nicht zu sehen.«
Nein, natürlich nicht. Alles, was sie zu sehen vermochte, war die Finsternis draußen, die ihre eigene Seele reflektierte wie ein Spiegel. Selbst in dieser missliebigen dunklen Reflexion gewahrte sie die Begeisterung, die sich in seinen Zügen spiegelte, das Funkeln in seinen Augen. All die Gefühle, die er sich versagte, hatte er sämtlich in dieses Haus gesteckt. Nicht nur Gefühle, sondern harte Arbeit und unbeirrbaren Glauben.
Sie hatten auch etwas zwischen sich aufgebaut. So wie er es von Anfang an vorhatte. Im Verlauf all ihrer Gespräche und Küsse, der gemeinsam verbrachten Zeit hatten sie etwas Wundervolles geschaffen – etwas mit Spitzenvorhängen und Eckschränkchen und Meeresblick. Nicht bloß ein Haus, sondern ein liebevolles Zuhause.
Wie würde Rhys reagieren, wenn sie ihm sagte, dass dessen Fundamente auf fälschlichen Annahmen und überflüssigem Schuldempfinden gründeten? Meredith sträubte sich dagegen, es herauszufinden, indes blieb ihr keine Wahl.
Schweren Herzens beschloss sie, ihm alles einzugestehen. Heute Nacht.
Er verstärkte den Griff um ihre Schultern. »Du verdienst so viel mehr, und das hier ist erst der Anfang. Ich beabsichtige, das gesamte Anwesen im Laufe der Zeit wieder aufzubauen, dann wirst du in wahrem Luxus leben. Umgeben von feinstem Mobiliar und einem Heer von Dienstboten. Ich verspreche dir, dass du nie wieder einen Finger krumm machen musst.«
»Das alles brauchst du mir nicht zu versprechen.«
»Oh doch, es ist mir ein Bedürfnis. Das bin ich euch beiden schuldig, dir und deinem Vater. Du hast über Jahre hinweg gelitten, einzig meinetwegen, und jetzt ist …«
»Nein.« Sie wirbelte zu ihm herum, heftete den Blick auf sein Gesicht. »Bitte sag jetzt nichts von Vorsehung, Feuersbrünsten oder Verpflichtung.«
Leise stirnrunzelnd strich er ihr das Haar aus der Schläfe. »Merry, ich weiß nicht, was ich dir noch sagen soll. Ich hab mein Bestes versucht bezüglich Romantik, aber …«
Sie japste nach Luft. Romantik. »Oh nein. Oh Gott.«
»Was hast du, ist dir nicht wohl?«
»Cora. Wir sind hier, um Cora zu finden.«
Rhys fluchte inbrünstig. Wie hatte er ihre Suche auch nur eine Sekunde lang vergessen können? Die Schuld, die er empfand, spiegelte sich gleichermaßen auf Meredith’ Gesicht.
Sie entwand sich ihm, griff sich ihre Lampe. »Wir waren lange genug hier. Wir sollten jetzt die Ruinen in Augenschein nehmen.«
Gemeinsam kletterten sie den Hang hinauf. Als sie die Ruinen von Nethermoor Hall erreichten, trennten sie sich vor den eingestürzten Säulen, die einst das Hauptportal gestützt hatten, und bogen in unterschiedliche Richtungen ab. Rhys folgte dem Verlauf der Außenanlagen, Meredith verschwand im Innern. Stolpernd und rufend bahnten sich beide den Weg durch das Geröll und riefen Coras Namen, bis sie heiser waren.
Vergeblich.
Er traf Meredith erneut bei den verfallenen Säulenstümpfen. Der Lichtkegel ihrer Lampe flackerte im Nebel. Der Wind frischte auf.
»Irgendein Lebenszeichen von ihr?«, erkundigte er sich.
»Nein.«
Donner grollte in der Ferne. Na fabelhaft. Ein Unwetter hatte ihnen gerade noch gefehlt. »Ich schlage vor, wir kehren ins Dorf zurück. Vielleicht ist sie inzwischen irgendwo aufgetaucht.«
Der Lichtschein hörte auf zu flackern. »Wir haben noch nicht alle Teile der Ruine überprüft.«
»Was willst du damit sagen?«, forschte er.
Obschon er ganz genau wusste, was sie damit sagen wollte. Hatte er diesen Ort wahrhaftig vergessen? Oder hatte er sich derart inständig gewünscht, ihn zu vergessen, dass er ihn letzten Endes tatsächlich aus seinem Gedächtnis getilgt hatte? Meredith hatte recht, wenn Cora hier hinaufgewandert war, dann bot das Kellergewölbe den besten Schutz vor Nebel und Kälte. Sie kämen nicht umhin, einen Blick hineinzuwerfen.
»Ich gehe allein«, verkündete sie.
»Nein«, versetzte er. »Nein, du darfst nicht allein gehen. Es ist nicht sicher.« Der Ort war nicht sicher, für niemanden. War es nie gewesen. Aber er wollte verdammt sein, wenn er sie in dem Glauben ließ, dass er – der Napoleons kaiserliche Gardesoldaten besiegt
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