Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
Rhys begannen ihren beschwerlichen Aufstieg ins Hochmoor. Aufgrund der ungünstigen Witterungsverhältnisse war der alte Mönchspfad der einzig sichere Weg, wenn er auch gleichzeitig der längste war. Je höher sie kletterten, umso undurchdringlicher wurde der Nebel, bis Meredith das Gefühl beschlich, sie würde durch Milch waten. Die Lampen dienten einzig dazu, den Nebel zu erhellen, und statteten ihn mit geisterhaften Figuren und einer trügerisch tröstlichen watteweichen Textur aus. Sie vermochten nicht mehr zu erkennen als den nächsten Schritt, der vor ihnen lag.
»Cora! Cora, können Sie uns hören?«
Sie riefen abwechselnd in die Dunkelheit. Vom Klettern, von ihren unablässigen Rufen und dem öligen Rauch der Lampe, der ihre Nasenschleimhäute reizte, war Meredith’ Kehle rau, als sie Bell Tor erreichten. Dort mussten sie sich entscheiden, ob sie zum Cottage abbiegen oder auf direktem Wege zu den Ruinen von Nethermoor Hall weitergehen wollten.
»Zuerst suchen wir beim Cottage«, entschied Rhys.
Das Gelände wurde flacher, und sie beschleunigten ihre Schritte. Der ebene Boden begünstigte ein schnelleres Vorankommen, desgleichen auch der Umstand, dass Rhys wegen der Errichtung des Cottages den Weg von Steinen freigeräumt hatte.
Dennoch stolperten sie mehr, als dass sie liefen, bis sie das Cottage erreichten, das von dichtem Nebel verborgen stand. Meredith legte eine Hand auf die frisch hochgezogene Lehmwand und tastete sich weiter, bis ihre Finger auf einen anderen Werkstoff trafen – auf sandgeschliffenes Holz.
»Die Tür wurde bereits eingepasst und hängt in den Angeln«, berichtete sie ihm. Sie hatte das Haus einige Wochen lang nicht gesehen. Weil sie hinlänglich damit beschäftigt gewesen war, die Fortschritte an ihrem Gasthaus zu überwachen.
»Vortrefflich«, erwiderte er. »Gut zu wissen, dass die Männer weitergearbeitet haben, während wir in Bath weilten.«
Die Tür war unverschlossen und schwang geräuschlos nach innen auf. Da der Nebel die Wände nicht durchdrungen hatte, mutete die Tiefe der Dunkelheit im Innern des Hauses beinahe verstörend an. Meredith hob ihre Lampe und fuhr erschrocken zusammen, als der Lichtstrahl von dem frisch eingesetzten Fensterglas reflektiert wurde.
»Cora!«, riefen sie gemeinsam, ihre Stimmen zu den Dachsparren erhebend. »Cora, haben Sie hier drinnen Zuflucht gesucht?«
Keine Antwort.
Meredith konnte nicht umhin, eine leise Verwünschung zu murmeln. Bis jetzt war es ihr gelungen, ihre Panik in Schach zu halten. Nun fühlte sie, wie sie gleichsam an den Fensterscheiben rasselte und Einlass begehrte.
»Wir müssen ohnehin das ganze Haus durchsuchen«, erklärte er. »Sie könnte sich irgendwo hingelegt haben und eingeschlafen sein. Du schaust dich hier unten um. Ich gehe nach oben.«
Sie nickte. Ihre Lampe hochhaltend, begann sie mit ihrem umsichtigen Rundgang durch das Untergeschoss. Das Cottage hatte einen einfachen, aber gefälligen Grundriss. An einer Seite befand sich eine geräumige Küche. Sie teilte sich einen nach zwei Seiten hin offenen Kamin mit der Wohnstube, die den Großteil des Parterres einnahm. Im hinteren Teil waren kleinere Kammern wie Speisekammer und Hauswitschaftsraum. Cora war nirgends. Am anderen Ende des Erdgeschosses befand sich eine Schlafkammer mit einem eigenen separaten Kamin sowie einem kleinen Ankleidezimmer. Es war in seiner Schlichtheit alles wohldurchdacht.
Die Treppe war noch nicht fertiggestellt worden, es führte jedoch eine Leiter in das obere Geschoss. In einer Hand die Lampe haltend, hangelte Meredith sich mit der anderen an den Holzsprossen hoch, bis ihr Kopf samt Schultern durch die Luke ragten. »Hast du sie hier oben gefunden?« Sie stellte ihre Lampe auf die frisch verlegten Bodendielen, damit sie beide Hände frei hatte, um sich hochzuziehen.
»Nein. Und unten?«
Meredith vermochte ihm nicht zu antworten. Wie gern hätte sie als Grund für ihr Schweigen ihre Angst um die bedauernswerte Cora ins Feld geführt. Aber dem war mitnichten so. Ihr war zum ersten Mal der Blick in das obere Geschoss des Cottages vergönnt, und was sie sah, verschlug ihr den Atem.
»Rhys, es ist …« Sie schluckte schwer. »Es ist bezaubernd.«
»Es war nicht geplant, dass du es bereits jetzt in Augenschein nimmst.« Er eilte zu ihr und bot ihr seine Hand, derweil sie die wenigen letzten Leitersprossen bewältigte.
Das gesamte Stockwerk war von einem bis zum anderen Ende offen und bildete somit ein einziges, riesiges
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