Zwei wie wir: Roman (German Edition)
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IndernächstenStundewerdeichZeugedavon,waswahreErleuchtungist.UndwahreSelbstbeherrschung.DerLamawirdmitFragenbombardiert,vondenenichdachte,dassmansiehöchstensseinemTagebuchstellt.Dabeifängteszunächstganzharmlosan.EineFraustehtaufundmöchtewissen,wiesosiebeiderMeditationimmersoabgelenktist.Eineanderefragt,obsieeinenneuenJobbeginnensoll,obwohlihrbisherigersogutbezahltist.Undeinedritteerkundigtsich,wassietunkönne,damitihreKindersienichtimmerbeimGebetstören.DerLamagibtruhigeundweiseAntwortenineinemgebrochenenEnglisch,diedereuropäischeSchülerdannnocheinmalaufDeutschübersetzt.Soerfahreich,dassmanvorderMeditationebenbesserdenFernseherausstellensollte,dassGeldnichtallesimLebenseiundRitalinzurBeruhigunggarkeinesoschlechteErfindung.Aha,scheintjaeinganzvernünftigerMannzusein,derLama.
In der zweiten Fragerunde bin ich etwas irritiert. Folgende Fragen werden gestellt: Kann es sein, dass sowohl man selbst wie auch die beste Freundin in einer früheren Inkarnation Hildegard von Bingen waren? Wäre es möglich, dass der Lama dem Vater einer Teilnehmerin, der letzte Woche bei einem Autounfall gestorben ist, noch etwas Wichtiges mitteilt? Ab welcher Stufe der Erleuchtung könne man die Lottozahlen vorhersagen?
Wieder nickt der Lama ernsthaft, murmelt etwas und sein Schüler wiederholt es laut. Das Rad der Wiedergeburten sei vielfältig und schwer zu durchschauen, die Toten kehrten nach hundert Tagen sowieso noch einmal zur Erde zurück, und er selbst würde immer die Daten seines Geburtstages sowie die 13 und die 29 spielen. Und nein, er hätte leider noch nie gewonnen.
In der dritten Runde geht es dann um Beziehungsfragen. Vorne verbeugt sich eine rothaarige Frau und möchte vom Lama wissen, warum sie einfach nicht den richtigen Partner finde. Eine andere Teilnehmerin möchte wissen, ob man auch mit zwei Männern glücklich werden könne und eine dritte, ob es moralisch zu rechtfertigen wäre, mit Mitte fünfzig noch ein Kind zu bekommen.
Wieder nickt der Lama lächelnd und erklärt, dass es für jeden Menschen den richtigen Partner gäbe, vorausgesetzt man sei bereit dazu, diesen auch an seiner Seite zuzulassen. Zwei, drei oder auch vier Männer wären völlig in Ordnung, allerdings sollte eine Frau nicht mit allen zusammenwohnen, weil der Badewannenabfluss dann nie mehr frei werden würde. Und Kinder könne man so lange bekommen, solange man Kinder eben bekommen könne.
Inzwischen bin ich tatsächlich davon überzeugt, dass dieser Mann ein wahrer Buddha ist. So ruhig und gelassen mit Frauen umzugehen, das ist einfach übermenschlich.
Dann stubst mir Sandra ihren Ellbogen in die Seite. »Na los, Alex. Das Satsang ist gleich vorbei. Stell schon deine Frage.«
»Ja, okay … «, sage ich und drücke den Rücken durch.
Meine Frage. Über die ich in den zurückliegenden Wochen schon so viel nachgegrübelt habe, ohne eine Antwort zu finden. Soll ich zu meiner Frau und meiner Familie zurückkehren? Oder soll ich alles hinter mir lassen und etwas ganz Neues anfangen? Soll ich in mein altes Leben zurückkehren, obwohl es vermutlich bedeutet, dass alles genauso bis zu meinem Tod weitergeht? Oder soll ich mutig sein und etwas zurücklassen, obwohl ich weiß, dass ich es vermissen werde?
Ich bin mir nicht sicher, ob der Lama mir all diese Fragen beantworten kann. Wie soll ich es ihm überhaupt erklären? Obwohl es ja eigentlich gar nicht so schwer ist.
In diesem Moment geschieht etwas Seltsames. Der Raum um mich herum versinkt auf einmal in völliger Dunkelheit. Die Augen des Lamas, die wie Autoscheinwerfer leuchten, richten sich auf mich. Ein seltsames Lächeln umspielt seinen kleinen, faltigen Mund. Dann nickt er mir zu und sagt leise in einer Sprache, von der ich nicht weiß, ob sie Deutsch, Englisch oder Tibetisch ist, und die ich dennoch problemlos verstehen kann: »Es gibt Fragen, mein Freund, auf die gibt es keine Antworten. Weil sie nicht nach Antworten verlangen, sondern nach einer Entscheidung. Und die kannst du nur selbst treffen. Darum höre auf meinen Rat. Ziehe dich zurück in die Einsamkeit und horche in dich selbst. So wie es einst der große Buddha getan hat. Versenke dich in die Stille, und du wirst dich selbst finden. Und wenn du dich selbst gefunden hast, wirst du wissen, was du zu tun hast.«
Dann erlöschen auch die magischen Augen des Lamas, und alles versinkt in totaler Dunkelheit.
»Alex? Aaa-lex? Ist alles in Ordnung?«
»Was? Wie bitte?«
Ich schüttele mich wie ein nasser Hund, der
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