Zwei wie wir: Roman (German Edition)
gerade aus einem See steigt. Wo bin ich? Was ist passiert? Als sich mein Blick wieder klarstellt, sitze ich immer noch aufrecht auf meinem Meditationskissen. Sandra hockt vor mir und sieht mich besorgt an. Alle anderen Teilnehmer sind bereits dabei, den Raum zu verlassen.
»Bist du etwa eingeschlafen, Alex?«, fragt Sandra angesäuert.
»Ich … keine Ahnung. Kann sein.«
»Du bist wirklich ein Trottel, Alex. So eine tolle Gelegenheit, um etwas über dich selbst zu erfahren, und du pennst einfach ein.«
Ich zucke mit den Schultern. Dann blicke ich noch einmal auf das Podest, wo vorhin der Lama gesessen hat. Immer noch scheint von dort vorne ein seltsames Licht auszugehen.
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W e nn man einen Münchener fragt, was ihm an seiner Stadt gefällt, sagt er garantiert, dass man so unglaublich schnell in Italien sei. So, als wenn es der größte Vorteil der Stadt wäre, dass man rasend schnell wegkommt. Ein Hamburger würde so etwas nie sagen.
Obwohl wir natürlich auch so etwas wie Italien haben. Nur eben nicht Italien, sondern Dänemark.
Außerdem gibt es die Küsten, die Nord- und Ostsee. Es gibt auch jede Menge Seen in der Umgebung, die Lüneburger Heide, die Holsteinische Schweiz, Mecklenburg.
Und vor allem: Es gibt die Inseln. Sylt für die meisten. Amrum für mich. Ein guter Ort, um alles hinter mir zu lassen. Ich habe den Wagen in Hamburg gelassen, weil ich ihn hier sowieso nicht brauche. Das Schuster’s habe ich Erik und Bernd überlassen. Es ist Herbst geworden, und die Nordsee ist rau. Tosende Brandung, weiße Gischt. Klare, salzige Luft. Möwen von der Größe von Primevil-Urzeitmonstern.
Ich übernachte in einer kleinen Pension und gehe am Strand spazieren. Endlos stapfen, einsam sein. Mir selbst auf die Spur kommen. Stundenlang bin ich draußen, atme die salzige Luft, setze mich in den feuchten Sand und starre in die Wellen. Gelegentlich kehre ich in einer Kneipe oder einem Café ein und wärme mich mit Grog oder Kakao. Dann zieht es mich wieder nach draußen. Ich will mit niemandem sprechen, will alleine sein, meinen Gedanken nachhängen.
Als mir der Lama den Tipp gab, in die Einsamkeit zu gehen, dachte er vermutlich an den Himalaja oder das Wudang-Gebirge. Aber so weit muss ich gar nicht reisen, um zu meditieren. Eat , pray & love – das kann ich auch an der Nordsee.
Als wir uns kennengelernt haben, wollten wir nie so enden, wie es jetzt geschehen ist. Und doch ist es so gekommen. Wie der Skifahrer, der gegen den einzigen Baum auf der Piste fährt. Ein unheimlicher Magnetismus.
Wir hatten diesen Ton bekommen, Inna und ich. Wie Tom und Jerry oder wie Stan und Olli. Sie zerbeult meinen Hut, ich piekse ihr ins Auge. Oder umgekehrt.
Wir haben uns nicht gestritten, sondern wir haben so getan, als wenn wir uns streiten. Jahrelang war das ziemlich witzig. Wir haben drüber gelacht, alle anderen haben drüber gelacht.
Aber eigentlich war es nicht witzig.
Sogar wenn wir im Bett waren, haben wir die Masche durchgezogen.»Schatz,wirmüssenheutemiteinanderschlafen, sonst schaffen wir die statistischen zweimal pro Woche nicht«, sagte ich.
»Wir könnten es dafür nächste Woche einmal öfter machen. Ist ja nur Statistik.«
»Oder nächstes Jahr viermal. Pro Woche.«
»Gute Idee. Gute Nacht, Schatz.«
»Gute Nacht.«
Aber Tatsache war, dass wir nicht miteinander geschlafen haben.
Wir hatten immer Angst davor, so zu werden, wie die meisten Ehepaare in unseren Augen waren. Eingefahren, lieblos, gleichgültig. Aber dann sind wir eben doch so geworden.
Ich weiß noch, wie es mich genervt hat, dass Inna so grundsätzlich wurde, bei unserem Streit nach dem Sommerfest. Plötzlich ging es nicht mehr nur um Sandra. Sondern um alles. Meinen Job, ihren Job, das Geld, die Kinder, meine Einstellung. Es ging um unser ganzes Lebensmodell. Dabei hatte sie recht damit. Das ist mir klar geworden. Sie hatte endlich den Mut, die Dinge anzusprechen. Und ich? Habe mich benommen wie ein Arsch.
Wenn mich vor zwei Monaten jemand gefragt hätte, ob ich mir vorstellen könnte, noch einmal ganz von vorne anzufangen, ein neues Leben, ohne Inna, ohne das Haus, ohne Pflichten, die Kinder nur an den Wochenenden, ich hätte Folgendes geantwortet: Klar, kann ich es mir vorstellen. Aber warum sollte ich?
Wie es aussieht, bin ich jetzt weiter. Ich muss es mir nicht nur vorstellen. Ich könnte es wirklich haben.
Mit Inna könnte es vorbei sein. Vielleicht ist es das schon.
Ich bin jetzt 44 Jahre alt. Jung genug, um noch einmal
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