Zwei Wochen danach (German Edition)
gegangen.
Heike steht auf. Sie legt die Briefe ungeöffnet auf den Schrank zurück und betrachtet im Spiegel ihr Gesicht. Sie stützt die Ellenbogen auf und muss an Nicole Karstenberger denken. Dass sie so mutig gewesen ist!
Dass sie überhaupt an uns denkt!
Für Heike war es eine Erfahrung, die sie zurechtgerüttelt hat.
Es kann doch nicht sein, dass sie sich Vorwürfe macht, weil ihr Mann lebt!
Sie hat doch keine Schuld!
Wir haben alle keine Schuld, denkt Heike.
Es war die Art, wie sie gesprochen hat und dieser einzige Satz, der bei Heike soviel ausgelöst hat.
„Ich bekomme das Gefühl nicht los, dass ich für Sie verantwortlich bin!“
Jetzt ist es anders herum.
Jetzt fühlt Heike eine Verantwortung.
Und nicht nur dieser Frau gegenüber, die doch gar nichts für den Tod von Sebastian kann. Die doch selbst so unglücklich sein muss, weil ihr Mann immer noch nicht bei Bewusstsein ist. Nein, Heike spürt auch plötzlich, wie ihr die Kinder von Nicole Karstenberger leidtun. Und nicht nur die, sondern auch ihre eigenen Söhne. Wie sehr sind sie von mir abhängig, denkt Heike.
Und wie sehr habe ich sie allein gelassen!
***
(Nicole)
Joachim hat beim Abendessen kein Wort gesagt.
Still hat er sein Brot gegessen und ist dann in sein Zimmer gegangen.
Nachdem ich die Tür gehört habe, habe ich Renate leise gefragt, was sie mit ihm besprochen hat.
Doch Renate ist noch nicht dazu gekommen, mit Joachim zu reden. Er war so verschlossen, so niedergeschlagen den ganzen Tag, deshalb hat sie sich nicht getraut.
Und das wundert mich jetzt.
Susanne kommt nach Hause. Sie hat heute ihren letzten Tag gehabt und sieht müde aus.
Schon unterwegs hat sie angerufen und sich nach ihrem Vater erkundigt. Sie war traurig, das habe ich an ihrer Stimme gehört.
Als sie sieht, dass nur Oma und Raphael mit mir am Tisch sitzen, setzt sie sich zu uns.
„Und, wie war’s?“, frage ich höflich, merke aber, dass ich gar nicht bei der Sache bin.
„Richtig cool“, sagt Susi zufrieden. „Sie haben zwei Profi-Sportler engagiert, die heute beim Training dabei waren!“
„Männer oder Frauen?“, fragt Raphael.
„Männer“, sagt Susi schnell, ohne lange darauf einzugehen. „Die haben uns Bilder gezeigt, vom Westgrat des Eigers. Das war der Hammer! Der eine ...“
Ich bin froh, dass Renate und Raphael da sind, die Susanne zuhören.
Mich beschäftigt Joachims Verhalten. Ich muss immer wieder daran denken. Hätte ich doch wirklich gedacht, dass er so in sich gekehrt war, weil Renate ihm schon gesagt hat, sie sollten besser nicht mehr hier übernachten.
Je länger ich darüber nachdenke und mir sein Gesicht beim Abendessen in Erinnerung hole, desto unsicherer werde ich. Er hat mich noch nicht mal böse angesehen, fällt mir ein.
Er scheint sehr enttäuscht zu sein. Sein Sohn liegt immer noch im Koma.
Die Karstenberger-Männer machen einem das Leben nicht leicht, seufze ich in mich hinein und stehe auf, um den Tisch abzuräumen. Ich beschließe, nicht mehr daran zu denken.
Ich schicke meine verschwitzte Tochter zum Duschen. „Und vergiss nicht, die Katze zu füttern!“, rufe ich ihr hinterher.
Susanne kommt mit dem leeren Napf aus dem Badezimmer zurück.
„Heute Morgen musste es schon wieder die Oma machen!“
Sie erwidert nichts.
Das ist auch nicht meine Tochter, denke ich.
***
(Kristel)
Kristel hält Ludwigs Hand, als sie abends im Bett liegen.
Sie ist froh, dass Heike ihnen keinen weiteren Anlass gegeben hat zu streiten. Kristel mag keinen Streit. Und schon gar nicht wegen Heike.
Es würde sowieso nicht mehr lange dauern und die Kinder würden wieder bei Heike wohnen. Vielleicht morgen schon.
Kristel hat ihre Tochter heute beobachtet. Der Abschied von Marcus und Pit war ihr nicht einerlei gewesen, aber sie dürfen sie jetzt nicht drängen. Der Schritt muss von ihr kommen.
Es war anstrengend, Pit heute Abend ins Bett zu kriegen.
Die langen Autofahrten taten ihres dazu. Die Kinder waren nicht ausgelastet.
Doch wenn sie dann vor Kristels Bett auf der Matratze liegen und schlafen, dann könnte sie stundenlang danebenstehen und ihnen zuschauen. Pit, dem der Schnuller nach dem Einschlafen aus dem Mund gefallen ist, mit seinen Grübchen und dem kleinen alten Teddy im Arm. Und Marcus mit roten Bäckchen und am Ansatz verschwitzten Haaren.
Dann ist alle Anstrengung vergessen. Dann weiß Kristel, dass sie ihre Enkelsöhne liebt und dass sie sie bald vermissen wird.
Ludwig neben ihr schläft schon, das
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