Zwei Wochen danach (German Edition)
hört Kristel. Immer ist er zuerst eingeschlafen. Legt sich ins Bett, redet noch etwas und schläft im nächsten Augenblick.
Sollen sie morgen nochmal zu Heike fahren? Es ist Samstag und Heikes Schwiegervater kommt. Dann fällt ihr ein, dass es nur noch zwei Tage bis zur Beerdigung sind.
Die Woche ist schneller vergangen als ihr lieb ist.
Was soll sie nur anziehen? Und sie weiß ja noch gar nicht, ob sie überhaupt mitgeht. Einer muss bei den Kindern bleiben. Ludwig kann ihr die Bitte sicher nicht abschlagen. Er weiß, wie viel Sebastian ihr als Schwiegersohn bedeutet hat. Als Mann ihrer einzigen Tochter.
Aber sie hat auch ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Immer muss er auf die Kinder aufpassen.
Kristel dreht sich zu Ludwig um. Sie kann nur seine Umrisse sehen. Er liegt auf dem Rücken und hält immer noch ihre Hand.
Heute werden wir das sowieso nicht mehr entscheiden, denkt Kristel und löst sich von ihm.
Mit der Hand, die eben noch mit ihm verbunden war, streichelt sie ihrem Mann zärtlich über die Wange.
Ich muss es behüten, denkt sie. Man weiß nie, wie lange man es hat.
***
(Heike)
Heike wälzt sich hin und her. Es dämmert schon und sie hat kaum geschlafen.
Warum nur hat sie Pit und Marcus nicht gleich dabehalten?
Sie war mit diesen Vorwürfen zu Bett gegangen und obwohl sie immer wieder versucht hat, sie sich auszureden und an morgen zu denken, haben diese schlechten Gedanken ihre Träume versalzen.
Sie hat gestern solche Angst gehabt. Angst, nicht in der Lage dazu zu sein. Marcus und Pit anzusehen und dafür verantwortlich zu machen, dass sie das Gesicht ihres Vaters tragen und sie immer wieder an Sebastian erinnern müssen.
Sie hat Angst gehabt, dass sie sich von dieser Nicole nur ein schlechtes Gewissen machen lassen hat. Dass sich im Grunde nichts geändert hat. Und dass sie es dann bereuen würde und ihr Verständnis doch nicht ausreichen könnte.
Heike steht auf und geht ins Bad hinüber. Sie will Veronika nicht aufwecken, aber sie muss so dringend.
Kurz betätigt sie die Spülung, wäscht sich die Hände und geht ins Bett zurück.
Sie weiß, dass sie noch ein bisschen schlafen muss und versucht an etwas Schönes zu denken.
Da sieht sie sich und Nicole Karstenberger am See. Sie haben sich zum Baden verabredet. Ihre Kinder hat sie nicht dabei. Marcus und Pit spielen am Ufer mit den Steinen.
Heike lächelt und schläft ein.
***
Samstag
(Heike)
Heike will nicht warten, bis Günter und Justine kommen. Sie hat keine Ruhe mehr. Auch am Morgen ist sie nur noch kurz eingeschlafen und nach einer Stunde wieder aufgewacht.
Marcus und Pit haben ihr keine Ruhe gelassen. Sie hat sich so gesehnt nach ihnen.
Sie hat für sich und Veronika Frühstück gemacht und ihre Schwägerin ist ganz erstaunt gewesen.
„Ich kann dich verstehen“, hat sie zu ihr gesagt. Und: „Du machst das Richtige!“
Auf der Autobahn muss Heike immer wieder die Tränen wegwischen.
Sie bemüht sich, langsam zu fahren. Es kommt nicht darauf an, wann ich ankomme, denkt sie. Es kommt nur darauf an, dass ich ankomme.
Heike fährt von der Autobahn ab. Die Landstraße erscheint ihr unendlich lang. Es geht ruckartig vorwärts, zwei Traktoren fahren an der Spitze der Autokette.
Endlich kann sie abbiegen, sie fährt durch den Ort.
An der Ortsausfahrt gibt sie Gas und überholt einen Mopedfahrer. Als sie links abbiegt, überkommt sie Aufregung. Sie wird langsamer.
Dann sieht sie von Weitem die Häuser mit den Solaranlagen darauf. Und kurze Zeit später ihren Sohn. Marcus fährt sein neues Auto im Hof und Pit sitzt bei Heikes Mutter auf dem Schoß.
Der erste, der sie erblickt, ist Marcus. „Mami!“, ruft er erstaunt.
Er dreht sich um zu Pit. „Mami ist da!“
Dann rennen beide Heike entgegen.
Die Kleinen schmiegen sich an sie, vergraben ihre Gesichter irgendwo zwischen Heikes Armen.
Es ist so gut, sie zu spüren. Sie zu halten und die Wärme zu genießen, die sie ausstrahlen.
Ja, es wird warm in ihr. Eine Behaglichkeit, die sie seit einer Woche nicht mehr gespürt hat.
Marcus und Pit sagen nichts und Heike wundert sich ein wenig.
Ihr schlechtes Gewissen regt sich. Die armen Würmchen. Wie konnte sie ihnen nur so etwas antun.
Die Wärme steigt auf in ihr Gesicht und verbiegt ihre Mundwinkel zu einem Lächeln.
„Meine Jungs!“, sagt sie leise, als schämt sie sich.
Sie hält ihre Köpfe zusammen mit dem sanften Druck einer Mutter, die ihre Söhne wiedergewonnen hat.
„Lasst uns gehen!“,
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