Zwei Wochen danach (German Edition)
dass ich geliebt werde. Und darüber habe ich mich fast selbst vergessen.
Wir haben uns aneinander gewöhnt. Aber Liebe ist etwas anderes.
All der Kummer, all die Tränen an Ralphs Bett. Vielleicht haben sie ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Er scheint sie zu spüren.
Das erste Mal scheint er meine Gefühle zu spüren.
Aber meine größte Angst ist die vor einer Enttäuschung.
Dass er aufwacht und genau der Alte ist.
Die letzten fünfhundert Meter habe ich mein Bewusstsein ausgeschaltet. Ich bin ferngesteuert zu dem Ort gelaufen, zu dem ich eigentlich nicht gehen will.
So erging es mir mein ganzes Leben, denke ich.
Ohne Motivation. Wie ferngesteuert.
Und ich weiß, dass sich daran etwas ändern muss. Dass ich daran etwas ändern muss.
Als ich den Eingang erreiche, warte ich nicht auf die anderen. Wahrscheinlich sind sie sowieso früher da als ich.
Im Foyer sitzt ein Mann im Rollstuhl. Er will wie ich mit dem Aufzug nach oben.
Als ich näher komme, erkenne ich den Motorradfahrer.
„Sie? Wie geht es Ihnen?“ Ich freue mich, ihn wohlauf anzutreffen. Er hat keinen Kopfverband mehr und ich sehe das erste Mal sein ganzes Gesicht. Trotzdem habe ich ihn gleich wiedererkannt. Seine Haare sind noch kaum nachgewachsen und ich erblicke die alten Wunden.
Er schaut mich einen Moment lang an und ich glaube, dass er unsicher ist, wer ich bin.
„Sie lagen mit meinem Mann ein paar Tage auf der Intensivstation“, helfe ich ihm schnell.
Meine Augen gleiten über seinen gestreiften Bademantel nach unten und wieder an den Streifen entlang nach oben in sein Gesicht.
Er hat es bemerkt und lächelt mich an und ich muss auch lächeln und drücke vor Verlegenheit noch einmal auf den Knopf für den Fahrstuhl.
„Wie geht es ihrem Mann?“, fragt er, als ich mich wieder zu ihm umdrehe.
„Er ist noch im Koma“, sage ich ernst und erkundige mich nach seinen Beinen.
Der Fahrstuhl kommt und eine junge Frau steigt mit ihrem Sohn dazu. Ich bin erleichtert.
Der Junge zeigt auf den Gipsarm des Motorradfahrers, der mit Unterschriften gespickt ist.
Von den Krankenschwestern, denke ich.
„Fußballmannschaft!“, sagt er zu dem Kleinen. Dann muss er aussteigen.
Er zwinkert mir kurz zu und rollt davon.
Als ich oben ankomme, atme ich erleichtert aus. Und dann frage ich mich, warum mir ausgerechnet immer die risikofreudigen Männer gefallen.
Ich denke an sein Geburtsdatum, das sich mir fest eingeprägt hat.
7. 5. 1978.
Der ist zehn Jahre jünger als ich!
***
Montag
(Heike)
Heike weckt Pit kurz nach sechs. Sie muss sich beeilen, wenn sie rechtzeitig zurück sein will. Ungefähr 25 Minuten braucht sie für die Hinfahrt, wenn alles gut geht. Pit in Ruhe abgeben, wieder zurückfahren. Eine Stunde würde nicht reichen.
Heike macht ihm die Windel frisch, zieht ihn an und frühstückt mit ihm gemeinsam. Nur Veronika ist auf.
Sie kommt mit ihrem Kaffee aus der Küche und stöhnt. „Ich hab die ganze Nacht schlecht geschlafen!
Mein Gott, seid ihr früh dran!“
„Das sind wir gewöhnt“, sagt Heike. „Wenn ich arbeite, habe ich Pit immer mitgenommen. Das geht gar nicht anders. Es ist viel zu weit weg, als dass ... Sebastian hätte später hinfahren können.
Für Marcus wird die Umstellung größer sein.“ Heike sucht nach einem Taschentuch und wischt sich die Tränen weg.
„Denk einfach nicht dran. Das wird schon!“, sagt Veronika. Sie steht neben ihr und streicht ihr zärtlich über den Rücken. „Du schaffst das!“
Pit hat die Milch ausgetrunken und klopft mit der Tasse auf den Tisch. Heike hebt ihn aus dem Hochstuhl und stellt ihn auf den Boden. „Mach leise!“, sagt sie zu ihm. „Dein Bruder schläft noch!“ Heike hält den Finger an den Mund und wartet, bis sie eine Reaktion von Pit erhält. Dann lässt sie seinen Arm los.
„Wann soll ich Marcus wecken?“, fragt Veronika. Sie hat Tränen in den Augen und versucht, es zu überspielen.
„Ich hab mir überlegt, ihn doch mitzunehmen.“ Heike dreht sich zu Veronika um. „Ich hab es ihm gestern Abend schon gesagt.“
Veronika lächelt. „Glaub mir, er ist alt genug!“
Heike seufzt.
Dann schaut sie auf die Uhr. Sie trinkt ihren Tee aus und räumt das Geschirr in die Küche.
„Ich muss nachher noch kurz mit dir reden“, ruft Veronika.
Heike stutzt, aber sie hat keine Zeit, darüber nachzudenken.
Sie setzt Pit auf die Bank unter dem Fenster und zieht ihm die Hausschuhe an. Sie haben noch keine Erzieherin gesehen und auch Kinder
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