Zwei Wochen danach (German Edition)
immer nur stundenweise bei Ralph gewesen. Als ob es Wichtigeres gäbe im Moment.
Ich schiebe meinen Teller von mir und verzichte auf die Nachspeise.
Ich melde mich ab. Will in mein Zimmer.
Die Zeitung nehme ich mit. Ich glaube nicht, dass ich lesen werde, aber ich nehme sie mit.
„Wir wollten doch heimfahren!“
Ich drehe mich zu Renate um.
Sie ist zurückgewichen.
„Ja, gestern wollten wir das noch. Aber jetzt ist alles anders!“, sage ich.
Renate und Nicole sehen sich an. Sehen sich an, als hätten sie gemeinsam beschlossen, dass wir wieder zu Hause wohnen.
Ich sage nichts zu ihnen, aber es wurmt mich.
Bevor ich die Küche verlasse, schaue ich auf die Uhr. Kurz vor zwei. Ich werde heute hierbleiben. Soviel steht fest.
Hab ich doch gleich gedacht, dass Nicole dahinterstecken muss. Die ganzen Tage habe ich mich schon gewundert, warum Renate unbedingt darauf besteht heimzufahren.
Es ist doch viel umständlicher. Und sie mag doch Nicole. Neuerdings.
***
(Nicole)
Brummig verlässt Joachim mit der Zeitung die Küche. Was stört er sich eigentlich daran, dass ich zu dieser Beerdigung fahre?
Gibt es überhaupt etwas, was ich in seinen Augen richtig mache?
Dass er mitkommt, hätte ich nicht erwartet. Aber vielleicht Renate.
Es ist nicht leicht für mich, allein zu gehen.
Ob sie immer noch geglaubt hat, Joachim würde heute mit ihr nach Taufkirchen zurückfahren?
Arme Renate. Sie weiß wieder einmal nicht, mit wem sie sympathisieren soll. Aber Raphael muss da eben noch ein paar Tage durch. Es wird ihn nicht umbringen.
Konnte ja keiner ahnen, dass so etwas passiert.
Jetzt muss vielleicht noch öfter jemand bei Ralph sein.
Mit ihm reden, damit er spürt, dass wir bei ihm sind. Dass es sich lohnt, zu uns zurückzukommen!
Naja, Susanne wird diese Woche sicher jeden Tag hingehen.
Ob es noch lange dauert?
Renate scheint den gleichen Gedanken zu haben.
„Wenn das noch lange so weitergeht, verkrafte ich das nicht mehr“, sagt sie niedergeschlagen. „Was, wenn er gar nicht aufwacht?“
Er wacht auf, möchte ich ihr sagen, aber ich halte mich zurück. Ich denke an Fernsehsendungen, die darüber berichteten, dass Menschen jahrelang im Koma liegen.
„Nicht Ralph“, sage ich.
Wie viele von diesen Menschen schlafen wohl dauerhaft, weil sie Angst haben, nicht mehr geliebt zu werden?
Ich räume die restlichen Teller vom Tisch. Susanne hilft mir.
Renate sitzt immer noch da. Sie ist in Gedanken.
„Komm“, sage ich zu ihr. „Lass uns in die Klinik gehen!“
***
(Joachim)
Ich liege im Bett, die Zeitung unter mir am Boden.
Wenn Ralph bis morgen nicht aufwacht, werde ich es tun. Es kann so nicht weitergehen. Es macht mich kaputt.
Ich habe das Gefühl, dass es uns alle kaputt macht.
Warum also noch länger warten. Es wird eh geschehen.
Ich versuche, mir einen Plan zurechtzulegen, aber es gelingt mir nicht, mich zu konzentrieren. Die Augen fallen mir zu. Ich bin so müde. Lebensmüde.
Ich bin ein Feigling, merke ich. Ich will den angenehmen Tod. Den, den man nicht spürt.
Eigentlich will ich überhaupt nicht sterben. Ich will nur, dass mein Sohn lebt. Aber ich kann es anders nicht erreichen.
Außerdem habe ich mein Versprechen gegeben.
Ich werde müder und müder und bin nicht mehr in der Lage, die Augen länger aufzuhalten.
Im Flur höre ich Geräusche. Dann ist alles still.
***
(Nicole)
Die ganze Nacht habe ich mir immer wieder die gleiche Frage gestellt: Warum liebe ich Ralph nicht mehr?
Vielleicht könnte ich mich selbst beeinflussen, wenn ich wüsste, woran es liegt.
Vielleicht ist es nur eine Krise.
Viele Paare haben Krisen.
Wir nie. Vielleicht ist das schon falsch gelaufen.
Ich gehe allein zum Krankenhaus, denn Raphael und Susanne fahren mit Renate die eine U-Bahn-Station.
Wie oft ich in den letzten Tagen diesen Weg zurückgelegt habe. Und wie oft ich ihn noch zurücklegen werde.
Ich glaube nicht, dass es nur eine Krise ist.
Es ist ein Ereignis, was mir eine Bewusstheit geschaffen hat.
Ich sehe meinen Mann anders, nehme ihn anders wahr.
Seine konservative Lebensauffassung, die ihm von seinem Vater in die Wiege gelegt wurde, habe ich jahrelang geduldet. Seine Arroganz und auch seinen Egoismus. Es gehört eben zu Ralphs Art.
Ich habe es akzeptiert, wie seinen Charme und sein attraktives Äußeres, was er sich in all den Jahren bewahrt hat.
Aber wenn mich jemand fragt, was mich wirklich stört, so ist es, dass ich einfach nur da bin. Ich spüre nicht,
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