Zwei Wochen danach (German Edition)
Susanne.
„Oma hat’s gesagt!“ Störrisch bleibt Susanne an meinem Bett sitzen und ich verfluche ihre Hartnäckigkeit.
Ich möchte allein sein. Und ich möchte jetzt nicht ins Krankenhaus. Ich muss den Brief schreiben. Den Brief an Renate.
Damit sie begreifen kann, dass ich es nur für unseren Sohn tue.
„Ich geh jetzt und mach mich fertig“, probiert Susi es noch einmal. „Und dann komme ich wieder und du stehst auf!“
Sie schaut mir streng ins Gesicht, doch ich will ihr keine Zustimmung geben. Ich drücke die Lippen fest aufeinander. Mein Gesicht darf kein Lächeln zeigen.
Fünf Minuten später höre ich sie im Bad diskutieren.
***
(Nicole)
Die Kinder sehe ich in der ersten Reihe.
Ich betrete die kühle Halle, die nach Blumen riecht und Renate folgt mir. Die hinteren Plätze sind alle noch frei und wir setzen uns links außen an den Rand.
Es vergehen kaum zehn Minuten, da füllt sich der Raum und die Leute, die keinen Platz mehr bekommen, stellen sich hinter der letzten Stuhlreihe auf.
Der Redner tritt ein und schließt die Tür. Langsam geht er den Gang entlang, legt seine Mappe auf das Pult und begrüßt zuerst die Schwägerin von Heike Awe.
Der große Junge scheint ihrer zu sein. Auch ihm gibt der Mann die Hand, dann Heike Awe, ihrem Sohn, ihrer Schwiegermutter und den beiden Männern, die daneben sitzen.
Dass sie die Jungen mitgenommen haben, denke ich. Ich hätte Susanne und Raphael in diesem Alter wohl bei Freunden gelassen.
Die ganze Zeit spielt Musik und ich bin dankbar dafür.
Es ist eine kalte Stimmung.
Renate hat mich bei den Händen gefasst. „Es hätte uns genauso gut treffen können“, sagt sie leise zu mir.
„Wir sind heute hier zusammengekommen, um für unseren lieben Sebastian Awe Abschied zu feiern“, beginnt der Geistliche.
Ich möchte eigentlich nicht weiter zuhören. Ich warte nur auf die Gelegenheit, mich bei dem jungen Piloten zu entschuldigen. Ihm zu sagen, wie leid es mir tut.
Der Redner spricht ungefähr zehn Minuten lang. Dann wird eine sanfte Musik eingespielt und ein zweiter Mann geht nach vorn. Er hat dicht hinter mir gestanden.
Als er beginnt, merke ich, dass er von einer Klinik zu sein scheint. Eine Klinik, wo Sebastian Awe gearbeitet hat.
Er ist Arzt gewesen, denke ich überrascht. Wie wenig ich über den Toten weiß. Nicht mal gekannt habe ich ihn.
Der große, kräftige Mann spricht nur ein paar Sätze. Dann kommt seine Stimme ins Zittern, er drückt sich Daumen und Zeigefinger ans Nasenbein, schaut kurz nach unten und geht an seinen Platz zurück.
Die sanfte Musik ertönt wieder, bis ein nächster Redner am Pult erscheint.
Er spricht als Freund und was er sagt, ist sehr berührend. Immer wieder wird er unterbrochen von seinen Gefühlen. Aber er hält durch.
Seine Ansprache ist an Heike Awe gerichtet.
Er redet frei und man kann sehen, wie schwer es ihm fällt. Doch sie müssen raus, die Worte, die ihn vielleicht schon einige Tage gequält haben, das sieht man.
***
(Heike)
Am Schlimmsten ist das, was Thomas sagt. Heike sitzt da, hat den Kopf gesenkt und weint leise in sich hinein. Sie fasst Marcus bei der Hand, der sich nicht auf ihren Schoß setzen wollte.
Jetzt redet Thomas mit Marcus. Dass Sebastian ein guter Freund war und dass er ihn nie vergessen wird. Und dass er sich wünscht, Marcus möge das Bild von seinem Vater immer behalten können, auch wenn er noch so klein ist.
Er wird ihm helfen, seine Erinnerungen nicht versiegen zu lassen. Wird für ihn da sein.
Heike kann nicht schauen, wie Marcus reagiert. Sie hört nichts von ihm.
„Wir können nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Wir können uns nur freuen, dass wir ihn gehabt haben“, wendet sich Thomas wieder an alle Anwesenden. „Lasst uns Sebastian in unseren Herzen lebendig behalten.“
Obwohl Heike nur auf ihre Knie starrt, sieht sie Sebastians Sarg vor sich. Es übersteigt ihre Vorstellungskraft, dass sie darin gleich ihren Mann begraben wird. Sie ist froh, Sebastian jetzt nicht mehr sehen zu müssen. Auch für Marcus wäre es ein Schock gewesen. Der Sarg ist Symbolkraft. Ein Symbol, was Fünfjährige besser verstehen können, als ihren toten Vater in Blumen liegen zu sehen.
Marcus hat sich in der Zwischenzeit an sie gelehnt. Seit Thomas nicht mehr mit ihm redet. Heike ist froh, dass sie ihn an ihrer Seite hat. Was jetzt kommt, macht ihr Angst. Sie weiß noch nicht mal, ob sie die Kraft hat aufzustehen und nach draußen zu gehen.
Doch Veronika und
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