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Zweibeiner sehen dich an

Zweibeiner sehen dich an

Titel: Zweibeiner sehen dich an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damon Knight
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sie vorbeikam.
    „Wann kann ich endlich gehen, Schwester?“ fragte er und hielt sie an.
    „Bald, bald“, erwiderte sie und schlüpfte an ihm vorbei. „Kämmen Sie Ihr Haar. Seien Sie unbesorgt, es wird nicht mehr lange dauern.“
    „Das haben Sie heute morgen auch schon gesagt“, rief er ihr nach, aber sie war schon weg. Er blieb auf seinem Zimmer und starrte auf den Fußboden, bis ein Pfleger hereinkam und sagte: „Ihr Haar sieht schrecklich aus.“ Sein eigenes war wellig und glänzte vor Pomade. „Nehmen Sie meinen Kamm.“
    „Wann wird man mich endlich hier herauslassen?“
    „Keine Ahnung“, meinte der Pfleger uninteressiert und verschwand. Es wurde Mittag und dem jungen Mann wurde allmählich klar, daß man ein grausames Spiel mit ihm zu spielen schien. Er warf sich auf sein Bett und rührte das Essen nicht an. Doch dann erklang das Geräusch einer sich öffnenden Tür und der Pfleger erschien wieder, ein Garderobengestell, an dem Kleider hingen, vor sich herschiebend. Der junge Mann betrachtete sie zunächst mit einigem Mißtrauen, erkannte aber bald, daß es die Hosen und der Mantel waren, die er vorher getragen hatte. Der Mantel war der Länge nach eingerissen, ein Ärmel durch eine klebrige, übelriechende Masse verschmutzt. „Anziehen!“ sagte der Pfleger mit befehlsgewohnter Stimme und verließ das Zimmer.
    Ungeschickt zog der junge Mann sich an. Sein Herz schlug schneller dabei und es war ihm nicht klar, wie die Sache sich nun weiterentwickeln würde. Dann fuhr er noch einmal durch sein Haar und wartete. Fußtritte erklangen auf dem Korridor und Gestalten in weißer Kleidung gingen hin und her. Eine Glocke bimmelte und ein Junge in rotem Umhang ging vorüber, eine Kerze in einer gläsernen Schüssel tragend, gefolgt von einem Mann, der eine schwarze Robe trug und mit gesenktem Kopf etwas vor sich hin murmelte. Das Gebimmel verschwand in der Ferne. Gelächter erscholl ganz in der Nähe. „Was glauben Sie, was ich ihm gesagt hätte!“ rief eine vitale Männerstimme. Zwei Leute unterhielten sich, aber jetzt waren sie so leise, daß der junge Mann kein Wort mehr verstehen konnte. Wieder erklang das Geräusch von Schritten in der Nähe der Tür, dann erschien eine Frau auf der Schwelle.
    Zunächst erkannte er Frau Schorr nicht wieder, denn sie war förmlicher gekleidet als am Tag zuvor. Sie trug einen Rock und eine Bluse, unter der man die Formen ihres Körpers kaum erkennen konnte, und sie sah blaß und nervös aus. Sie sah ihm nicht in die Augen, als sie sagte: „Martin, sie versprachen mir, dich heute morgen um 9.30 Uhr zu entlassen. Und jetzt ist es fast …“
    „Frau Schorr“, unterbrach sie der Pfleger, während er seinen Kopf durch die Tür steckte. „Sie werden noch einmal im Büro gewünscht.“
    „Auch das noch!“ rief sie aus, wandte sich um und ging wieder hinaus. Die Wartezeit war noch immer nicht beendet. Als sie zurückkam, war ihr Gesicht gerötet, aber sie wirkte diesmal sehr energisch. „Schnell“, sagte sie und ergriff seinen Arm, „bevor sie es sich noch einmal überlegen.“
    „Ich darf gehen?“
    „Ja. Es ist alles arrangiert. Beeil’ dich.“ Sie führte ihn durch den weißen Korridor, vorbei an einer farbigen Leuchtschrift. Dort, wo die Korridore sich kreuzten, standen Topfpflanzen, alle von der gleichen Art, mit glänzenden, gezackten Blättern. Sie betraten einen Aufzug, der dem glich, den der junge Mann im Warenhaus kennengelernt hatte. Die Türe schloß sich hinter ihnen, dann raste die Kabine mit schwindelerregendem Tempo nach unten. Als sie unten waren und auf den braunen Fliesen eines gewaltigen Foyers standen, konnte der junge Mann durch die Fenster den Zentralturm der Flugbahn sehen, wie er sich, im Sonnenlicht funkelnd, vom tiefblauen Himmel abhob.
    „Komm, schneller“, sagte die Frau und führte ihn zu einem Spiralaufzug. Sie sanken durch einen Glasschacht, zuerst an dunklen Wänden vorbei und dann überraschend ins Tageslicht. Was war mit dem Gebäude geschehen? Der junge Mann reckte seinen Hals und sah den gigantischen Betonquader über seinem Kopf verschwinden. Sie waren unten aus dem Krankenhaus gekommen, das sich über ihnen, von Betonpfeilern getragen, in die Lüfte erhob. Sein Blick fiel auf zahlreiche Blumenbeete und grüne Rasenflächen. In der nächsten Umgebung stand nur ein anderes Gebäude, ein häßlicher Block aus rosa Steinen, ohne Fenster und ohne sichtbaren Eingang. In einiger Entfernung waren die Dächer anderer Häuser über

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