Zweibeiner sehen dich an
seiner Zeit“, sagte die Schwester. „Jetzt frühstücken Sie erst einmal. Danach kommt der Friseur, um Sie zu rasieren. Anschließend können Sie Ihre Freundin sehen.“ Sie ging hinaus. Der junge Mann rieb an seinen Bartstoppeln. Was rasieren war, wußte er, aber er hatte keine Ahnung, wie man so etwas machte. Es war gut, rasiert zu sein. Nach dem Frühstück kam der Friseur, ein kleiner, schwarzhaariger Mann in einem weißen Kittel. Mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck setzte er den Rasierapparat in Betrieb. Zuerst verursachte der Apparat ihm Schmerzen, er zog und zerrte, aber mit der Zeit wurde es erträglicher. Schließlich war er glattrasiert, seine Haut hatte aufgehört zu jucken und fühlte sich herrlich weich an.
Er wartete ungeduldig, bis ein Pfleger erschien und ihm einen Kamm reichte. Vor dem Spiegel stehend, fuhr er durch sein Haar, bis er der Ansicht war, gut auszusehen. Er wartete weiterhin, bis die Krankenschwester kam, ihn begutachtete und ihn aufforderte mitzukommen. Sie brachte ihn in ein kahles Zimmer, das lediglich mit gepolsterten Stühlen und einem Zeitungsständer ausgestattet war. Mitten im Raum stand eine Frau in einem blauen Kleid, hinter ihr ein Mann in weißem Kittel.
Der junge Mann musterte sie und erkannte sofort Dr. Böhmer in ihm, die Frau jedoch erst, als sie auf ihn zukam. Es war die Frau aus dem Warenhaus – die, die ihn geschlagen hatte.
„Martin – was ist los mit dir?“ fragte sie erschüttert und streckte die Arme nach ihm aus. Verunsichert ging er einen Schritt zurück. „Angeblich bin ich krank“, erklärte er, indem er sie anstarrte.
„Identifizieren Sie Ihren jungen Freund, Frau Schorr?“ fragte Dr. Böhmer freundlich.
„Er erinnert sich anscheinend nicht an mich“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Natürlich ist er es. Es ist Martin.“
„Und Sie sind seine …“
Sie biß sich auf die Lippen. „Ich bin seine Schwester. – Glauben Sie, daß man mir erlaubt, ihn mitzunehmen?“
„Das hängt von verschiedenen Dingen ab, Frau Schorr“, meinte Böhmer ernst. „Am besten kommen Sie mit in mein Büro. Dort können wir die Einzelheiten besprechen.“
Sie nickte und wandte sich wieder dem jungen Mann zu. „Willst du mit mir kommen, Martin?“ fragte sie. Der junge Mann zögerte. Sie schien bedeutend ruhiger als früher. Aber wußte er, wann sie die Nerven wieder verlieren würde?
„Möchtest du fort von hier?“ Er zögerte noch. Dann entschloß er sich schnell. „Ich denke schon.“ Sie lächelte ihn an und wandte sich dann an den Arzt. „Ich stehe Ihnen jetzt zur Verfügung, Herr Doktor.“
„Auf bald, Martin …“ Sie gingen hinaus und die Krankenschwester kam, um den jungen Mann in seine Zelle zurückzubringen. Bis auf das Mittagessen wurde seine Ruhe durch nichts unterbrochen. Nachdem das Geschirr abgeräumt war, wuchs seine Ungeduld, aber wieder vergingen Stunden, ohne daß jemand eintrat. Als der Pfleger das Abendessen brachte, begann er allmählich ängstlich zu werden. Wenn nun irgend etwas schiefgegangen war und die Frau nicht zurückkam? Die Krankenschwester weigerte sich, ihm Rede und Antwort zu stehen. Statt dessen versuchte sie ihn mit Gemeinplätzen wie „Seien Sie nicht so ungeduldig“ und „Warten Sie doch“ und „Warum haben Sie es denn so eilig?“ abzuspeisen. Sie gab ihm Tabletten, die er einnehmen sollte und bestand darauf, ihm die seltsamen Kabel wieder anzulegen. Als er erneut aufwachte, war ein neuer Tag angebrochen.
„Eine gute Nachricht!“ rief die Schwester fröhlich, als sie das Zimmer betrat. „Sie werden heute entlassen.“
„Tatsächlich?“ fragte der junge Mann neugierig. Als er aus dem Bett zu klettern versuchte, hielten ihn die Kabel zurück. „Zum Teufel damit!“ schrie er und zerriß sie. „Geben Sie mir meine Kleider.“
„Sachte, sachte“, Sie hielt die Hände in gespielter Bestürzung von sich. „Können Sie nicht wenigstens bis nach dem Frühstück warten? Mein Gott, sind Sie aber ungeduldig.“ Sie löste die Verbindungsstücke und legte die Kabel ordentlich zusammen. „Bei uns wird nichts überstürzt. Gehen Sie und waschen Sie sich – und lassen Sie sich ruhig Zeit.“
Der junge Mann wusch sich und kämmte sein Haar. Er war nicht in der Lage, stillzusitzen. Als das Frühstück gebracht wurde, aß er einen Happen und dachte, daß sie gleich hier sein würde.
Aber die Stunden zogen wieder träge dahin. Was konnte geschehen sein? An der Tür wartete er auf die Schwester, bis
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