Zweifel in Worten
sein Wille zu gehen. Und wenn wir ihn wirklich so sehr lieben, müssen wir ihn ziehen lassen.“
„Ja, das weiß ich! Aber ich muss es dazu von ihm hören! Dass er uns nicht mehr will, dass er ohne uns glücklicher ist, dass er nicht leidet!“, jammerte Sam und vergaß, sich für diesen weinerlichen Ton zu schämen. Er brauchte es auch nicht. Gabriel mochte beherrschter und ruhiger sein, aber im Grunde sah er es nicht anders, das zumindest glaubte Sam zu wissen.
Gabriel nickte. „Ja, das würde ich auch gern hören. Was denkst du denn, wo er ist?“
Sam überlegte nicht lange, blickte in die leicht glasigen Kornblumenaugen vor sich und sagte: „Zu Hause. Bei seinen Eltern.“
„Hm, wie kommst du darauf?“
„Na ja, Wagner kann ihm nichts mehr tun, er ist in Köln wieder sicher. Und ich vermute einfach, dass er sich eine Auszeit bei seinen Eltern gönnt, um wieder zur Ruhe zu kommen nach allem, was in letzter Zeit passiert ist.“
Sein Engel schürzte die Lippen. „Gut möglich. Also willst du ihn dort besuchen, ihn konfrontieren und erst weggehen, wenn er gesagt hat, dass er uns nicht liebt?“
Sam hob die Schultern. Hatte er wirklich den Mut, sich genau das von Frank anzuhören? Könnte er damit wirklich leben? Tief in sich horchend schwieg er eine Weile, schaffte es aber endlich, seine Arme um Gabriel zu schlingen und ihn festzuhalten.
„Du weißt genau, dass ich das nicht hören will“, murmelte er an Gabriels Schulter. „Aber wenn es so ist, werde ich ... irgendwie damit leben.“
Gabriels Hand glitt in Sams Nacken, seine Finger in dessen Haar. „Ich würde auch gern hoffen, dass er nur eine Auszeit braucht und irgendwann zu uns zurückkommt. Aber du hast recht, auch ich brauche eine Gewissheit, die ich ohne ein Gespräch mit ihm nicht haben kann.“
Sam drückte Gabriel dichter an sich und küsste ihn ganz leicht. „Danke, Engel.“
„Wofür? Denkst du, nur weil ich mich hier vergrabe, leide ich weniger?“
„Nein, ich weiß, dass es dir genauso mies geht wie mir. Und das ist eben auch etwas, was ich nicht will!“
„Und wann willst du zu ihm? Willst du vorher dort anrufen?“
Sam erschrak regelrecht. „Nein! Er wird abhauen, wenn er weiß, dass wir ihn sehen wollen.“
~*~
Gabriels Hand blieb beinahe während des gesamten Fluges nach Köln-Bonn mit der von Sam verschränkt. Er brauchte den Körperkontakt, auch wenn es noch so wenig war.
Mit einem nachdenklichen Blick sah er hinaus über die graue Wolkendecke, versuchte sich darüber klarzuwerden, was genau sie erwarten würde. Frank wusste nichts davon, dass sie seinen wortlosen Weggang nun doch ignorierten. Und Gabriel bezweifelte stark, dass er sich über ihren plötzlichen und unangekündigten Besuch freuen würde.
„Was glaubst du, wie seine Eltern reagieren, wenn wir da auftauchen?“, fragte Sam leise in seine Gedanken hinein und Gabriel hörte die Unsicherheit heraus. Er lächelte aufmunternd.
„Nun ja, wir sollten seine Eltern vielleicht nicht mit den Worten ‚Guten Tag, wir waren bis zu seiner Flucht vor uns Franks feste Freunde‘ begrüßen.“ Er kicherte, als Sam ihn missbilligend ansah.
„Ist das Galgenhumor?“, hakte sein Freund nach.
„Ja, vermutlich. Vielleicht ist es aber auch die Vorfreude, ihn noch einmal zu sehen? Ich weiß es nicht.“
„Ich weiß nicht, was ich tue, wenn wir ihm gegenüberstehen.“
Gabriel umarmte Sam und zog ihn an sich. „Das weiß ich auch nicht, Stern. Vielleicht sollten wir einfach abwarten, was er tut?“
Sam nickte leicht. „Klingt ... vernünftig.“ Der Tonfall reizte Gabriel zu einem kleinen Auflachen. Offensichtlich war Vernunft einmal mehr nicht das, was Sam gern walten lassen wollte.
Sie schwiegen wieder, Sam holte neuen Kaffee, irgendwann kam die Durchsage von Valentin, dass sie sich anschnallen sollten und bald, ganz bald würde Gabriel ihn wiedersehen.
Den dunkelhaarigen Bibliothekar mit dem umwerfenden Lächeln und den grünen Augen. Er grinste vor sich hin, wohl wissend, dass er sich jetzt keinen Pessimismus gönnen durfte.
~*~
Frank brauchte zwei Aufforderungen, um endlich auf die Ansprache durch seine Mutter zu reagieren. Er hob den Blick vom Fernseher und sah sie abwesend an. Sie stand in der halb geöffneten Tür zu seinem zurückeroberten Kinderzimmer. „Was?“
Sie seufzte tief, bevor sie antwortete: „Junge, du machst mir wirklich Sorgen! Willst du jetzt wirklich von morgens bis abends in deinem alten Zimmer hocken und dir die Augen
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