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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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anzulegen.
    »Das sieht aber gar nicht gut aus, junger Ire«, sagte Liberty mit tadelndem Bedauern. »Warst du in eine Messerstecherei verwickelt?«
    »Halt die Klappe, Liberty«, flüsterte Jay. »Hol lieber Hilfe.«
    »Mit wem redest du?«, fragte Columbus.
    »Mit der Holländerin.«
    Columbus runzelte verwundert die Stirn. »Du siehst die Trugwelt und ihre Gespenster immer noch?«, fragte er. »Selbst jetzt?«
    Jay schluckte. »Trugwelt? Was heißt das? Meine Welt …«
    »Hat Ivy es dir nicht erklärt, du Träumer? Das hier ist deine Welt. Der Rest waren nur deine Erinnerungen, eine Trugwelt, die Wendigos Diener dir vorgegaukelt haben, damit du dich zu Hause fühlst. Sieh dich um, Junge. Was glaubst du, wo du hier bist?«
    »Vor dem Metropolitan Museum of Art«, rief Liberty so triumphierend wie eine Streberschülerin, die sich mit der richtigen Antwort vordrängelte. »Das MET ist das größte Kunstmuseum der USA und besitzt eine der bedeutendsten kunsthistorischen Sammlungen …«
    »Schau mich nicht so fassungslos an, Junge«, redete Columbus einfach dazwischen, als wäre die Holländerin Luft.
    Liberty verstummte beleidigt und ordnete akkurat ihre Röcke.
    Er nimmt sie tatsächlich nicht wahr! Der nächste Gedanke wagte sich nur zögernd vor: acht Säulen, drei große bogenförmige Eingänge – das Gebäude glich tatsächlich dem MET  – nachdem es mehrere Jahrzehnte lang der Natur überlassen worden war.
    Jays Herzschlag war inzwischen so flach und so schnell, dass es ihm den Atem nahm. Und obwohl er gegen die Ohnmacht kämpfte, gelang es irgendeinem Teil von ihm, zum ersten Mal genauer hinzusehen. Seine Jeans zum Beispiel. Sie wirkte vergilbt und fadenscheinig, fleckig und an den Nähten bereits am Zerfallen. Und wenn er nach unten blickte, sah er am Fuß der Treppe, dort, wo die 5th Avenue hätte sein müssen, den Fluss, der über die untersten Stufen strömte. Jay schüttelte den Kopf. Es ergab alles keinen Sinn.
    »Das … kann nicht das Museum sein«, sagte er tonlos. »Nicht in der Wirklichkeit.«
    Columbus zuckte mit den Schultern. »Tja, gewöhn dich dran. Wenn du so willst, ist deine ganze Stadt nur noch ein einziges, großes Museum. Und mit wem auch immer du da eben geredet hast, es ist ein Gespenst. Vor denen solltest du dich hüten. Die Stadt ist voll von ihnen, aber man kann ihnen nicht trauen. Manche von ihnen dienen Wendigo.«
    Liberty stand beleidigt auf. »Dieser Schrat ist unverschämt«, sagte sie pikiert und eilte mit wehenden Röcken davon. Die Zeitungen schleiften über das nasse Moos und durch Pfützen. Inzwischen ergoss sich der Regen in dichten Strömen über die Treppen und brachte die Oberfläche des Flusses zum Tanzen. Und Libertys Zeitungen werden nicht nass. In diesem Moment erreichte die Holländerin die unterste Treppenstufe und schritt mitten in das Wasser, als wäre die 5th Avenue immer noch da und sie würde einfach über die Straße gehen. So bewegte sie sich bis zu den Knien in den Fluten, ohne Widerstand und ohne zu versinken. Die Erkenntnis traf ihn wie ein weiterer Schock. Wenn sie nicht real ist, dann …
    Er tastete nach seiner Jackentasche. Zu seiner Erleichterung waren die Postkarten, das Foto und sein Handy noch da. Natürlich würde nichts davon mehr zu gebrauchen sein, aber darum ging es jetzt auch nicht. Es kostete ihn alle Konzentration, die Gegenstände aus der nassen Tasche zu zerren. Dann saß er da und starrte auf die Dinge in seiner Hand. Es waren keine Postkarten und kein Handy. Aber er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sie es vor einer Stunde noch gewesen waren. Doch nun hielt er statt seines Handys einen länglichen Stein in der Hand – und die Postkarten und das Foto waren Herbstblätter, die der Wind ihm aus der Hand riss und fortwirbelte.
    »Und da sind sie auch schon«, knurrte Columbus. »Na, ihr Biester, ihr denkt wohl, hier gibt’s Frühstück. Aber da muss ich euch enttäuschen.«
    Durch den Nebel seines entgleitenden Bewusstseins sah Jay huschende, vierbeinige Schatten – Kojoten. Sie kamen aus dem Inneren des Gebäudes, witterten in seine Richtung, wagten sich näher heran, Krallen schabten über den bemoosten Treppenstein.
    Das Schnappen des Repetiergewehrs hallte wie ein Echo in Jays Ohren.
    »So sieht’s aus, Junge«, brummte Columbus und legte das Gewehr an. »Das hier ist dein New York!«
    *
    Mo schrie. Sie schrie so laut, dass der Wind sich über dem Fluss erhob und das Wasser hoch aufpeitschen ließ. Ihre Schwester lag

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