Zwergenfluch: Roman
ihm vertrauen können. Vielleicht führt er uns direkt in eine Falle.«
»Und warum sollte ich das tun?«, entgegnete der Waldläufer, obwohl er ihnen bereits mehrere Schritte voraus war. Er musste über ein ungeheuer scharfes Gehör verfügen. »Euer Gold hatte ich schon in meinem Besitz, und Zwerge stehen auch nicht auf meinem Speiseplan. Seid unbesorgt, ihr habt nichts zu befürchten, so lange ihr kein falsches Spiel mit mir treibt.«
Ohne noch einmal Umwege zu gehen waren sie etwa eine weitere halbe Stunde lang unterwegs, bis sie an eine Wand aus steil aufragenden Felsen gelangten, an deren Fuß ein fast undurchdringliches Dornendickicht wucherte. Behutsam schob Malcorion ein ganzes Geflecht aus Ranken zur Seite. Dahinter kam eine dreieckige, aus zwei gegeneinander gelehnten Felsen gebildete Öffnung zum Vorschein.
Mit einer Handbewegung forderte der Waldläufer sie auf, vorauszugehen. Als sie an ihm vorbei waren, zerrte er die Ranken wieder an ihren vorigen Platz zurück.
Die Öffnung zwischen den Felsen war nur wenige Schritte tief. Als er sie als Erster durchquert hatte, blieb Warlon vor Überraschung stehen und betrachtete verwundert das Bild, das sich ihm bot. Im Licht des Mondes öffnete sich vor ihnen eine erstaunlich große, mit Gras bewachsene und ganz von hohen Felsen eingeschlossene Lichtung. In ihrer Mitte erhob sich ein aus Stein und Holz erbautes Haus, aus dessen Kamin sich eine dünne Rauchfahne kräuselte. Über der Haustür brannte eine Laterne, und aus zwei Fenstern in der Seitenwand fiel Licht nach draußen. Etwa in Kopfhöhe entsprang aus der steinernen Barriere eine Quelle, schlängelte sich als Bach über die Lichtung und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite wieder zwischen den Felsen. An seinem Ufer waren mehrere Beete mit Blumen und verschiedenen Obst- und Gemüsesorten angelegt. In einem Gehege im hinteren Teil der Lichtung befanden sich mehrere Ziegen. Ein sorgsam von Gras und Unkraut befreiter Weg führte von der Öffnung im Felsenring auf das Haus zu.
»Mein Heim«, verkündete Malcorion überflüssigerweise. Seine Stimme klang nun viel freundlicher als zuvor. »Nur wenige habe ich je hierhergeführt und bewirtet. Kommt, bei Speise und Trank sollt ihr mir eure Geschichte erzählen und erklären, wozu ihr meine Hilfe braucht, dass ihr eine so gefährliche Wanderung auf euch genommen habt, nur um mich zu treffen.«
Sie gingen auf das Haus zu. Malcorion öffnete die Tür und hieß sie einzutreten. Im Inneren erwartete sie eine überraschend geräumige und gemütlich eingerichtete Wohnstube. Mehrere Lampen hingen von den Deckenbalken herunter und verbreiteten Licht. Bunte Teppiche lagen auf dem Holzboden, und es gab Möbel aus massivem Holz, die
mit kunstvollen Schnitzereien versehen waren. Dazu zählten ein Tisch mit sechs Stühlen sowie mehrere Schränke, Truhen und Regale. In einem gemauerten Kamin prasselte ein Feuer und verbreitete anheimelnde Wärme. Eine brennende Kerze und ein Gedeck für eine Person standen auf dem Tisch. Drei Türen führten zu weiteren Zimmern, zwei an der linken Wand und eine an der Rückwand, doch all das nahm Warlon nur am Rande wahr.
Wie verzaubert hing sein Blick an der wohl schönsten Frau, die er je gesehen hatte, gleich ob bei Menschen oder Zwergen. Sie saß auf einem gepolsterten Stuhl nahe des Kamins und war mit Näharbeiten beschäftigt. Bei ihrem Eintreten sah sie auf. Im ersten Moment blickte sie verwundert, dann glitt ein Lächeln über ihr liebreizendes Gesicht, dass Warlon glaubte, mitten in der Nacht in einen Strahl aus gleißendem Sonnenlicht gehüllt zu werden. Ihre Augen strahlten in tiefem Blau, goldblonde Haare fielen ihr in Locken über die Schultern. Gekleidet war sie in ein schlichtes braunes Kleid mit einem dunklen Ledergürtel.
Immer noch lächelnd stand sie auf, legte ihr Nähzeug auf den Stuhl und eilte ihnen leichtfüßig entgegen.
»Du kommst spät, Malcorion«, sagte sie mit sanftem Tadel. »Aber wie ich sehe, hast du Gäste mitgebracht.«
Sie umarmte den Waldläufer, der sie hochhob und sich schwungvoll einmal mit ihr um die eigene Achse drehte. Als er sie wieder absetzte, gab sie ihm einen Kuss. Der Anblick versetzte Warlon einen leichten Stich. Daran änderte sich auch nichts, als er sich vor Augen hielt, wie unsinnig seine Gefühle in diesem Fall waren.
»Das ist Shaali, meine Frau«, stellte Malcorion vor. Erst jetzt fiel Warlon auf, dass er seine Kapuze zurückgestreift hatte, sodass erstmals sein Gesicht
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