Zwergenfluch: Roman
Überraschung gelang es Toluran erst im allerletzten Moment, die Hand zurückzuziehen, sonst hätte er leicht ein paar Finger verlieren können.
Fassungslos und schockiert starrte er das schnaubende und unruhig mit dem Kopf wackelnde Tier an. Ein solches Verhalten hatte er noch nie erlebt. Trotz ihrer Hässlichkeit liebte er die Tiere, und er war bislang stets davon überzeugt gewesen, dass sie das spürten. Er kannte sie alle von Geburt an, hatte bei den meisten selbst mitgeholfen, sie auf die Welt zu bringen. Ihre Freude, wenn er seine Wache antrat, war nicht zu verkennen, viele kamen dann direkt zu ihm, um sich erst einmal ein paar Streicheleinheiten abzuholen.
Und nun das!
Toluran begriff, dass er sich getäuscht hatte. Das Tier war nicht nur nervös, sondern hatte aus irgendeinem nicht erkennbaren Grund Angst, und zwar ziemlich starke.
Und es war nicht das einzige. Sämtliche Luanen hatten sich inzwischen aus dem Eingangsbereich in die hinteren Teile der Höhle zurückgezogen. Toluran näherte sich dem Gatter, aber auch weiterhin war nichts zu entdecken, was die Tiere beunruhigen könnte. Um ein Raubtier konnte es sich nicht handeln, da die Hellhöhlen zum geschützten Stadtbereich von Elan-Dhor gehörten und es niemals durch die Stadttore gekommen wäre. Das einzige Ungeheuer, das
die Tore gewaltsam durchbrechen könnte, wäre ein Zarkhan, und in einem solchen Fall wäre schon längst Alarm geschlagen worden.
Was aber beunruhigte die Luanen dann in diesem Maße? Nachdem er sich noch einmal gründlich im Eingangsbereich umgesehen hatte, kehrte Toluran kopfschüttelnd zu der Herde zurück. Das erst vor wenigen Stunden geborene Jungtier schien als einziges keine Angst zu verspüren. Es war seiner Mutter und den anderen in den hinteren Teil gefolgt, brach aber nun aus dem Verband aus und kam ihm blökend mit übermütigen Sprüngen entgegen.
Wenige Sekunden später brach es zusammen.
Alles geschah so schnell, dass Toluran im ersten Moment nicht einmal begriff, was passierte. Nach einem seiner verrückten Sprünge fiel das Tier mit einem kläglichen Laut nach vorne, als wären ihm nur wie schon oft zuvor die noch schwachen Beine weggeknickt und hätten es stürzen lassen. Diesmal jedoch stand es nicht wieder auf, sondern blieb reglos liegen.
Erschrocken eilte Toluran darauf zu. Erst als er es fast erreicht hatte, entdeckte er das Blut, das sich unter ihm im Gras ausbreitete. Das Jungtier war tot.
Mit einem entsetzten Schrei sank Toluran neben ihm auf die Knie. Als er es herumdrehte, sah er die schreckliche Wunde, die in der Flanke des Kadavers klaffte.
Aber wie war das nur möglich? Gerade war das Tier noch munter herumgesprungen, und es gab nichts, woran es sich so verletzt haben konnte. Dennoch war es ohne Anzeichen einer Krankheit oder Verletzung praktisch von einer Sekunde zur nächsten gestorben.
Fassungslos und mit zitternden Fingern untersuchte Toluran die Wunde genauer. Sie stammte offenbar von einem
spitzen Gegenstand, der tief in die Flanke des Jungtiers gedrungen war. Unter anderen Umständen hätte er ohne zu zögern gesagt, dass sie von einem Schwert oder einer vergleichbaren Waffe verursacht worden war, doch hätte man eine Klinge noch in wilder Raserei im Leib des Tieres herumdrehen müssen, um eine so schreckliche Wunde zu verursachen.
Aber das waren unsinnige Gedanken, denn es war einfach niemand hier, der das Tier mit einer Waffe hätte niederstechen können. Schließlich hatte er genau gesehen, wie es gestrauchelt und tödlich verletzt zu Boden gestürzt war.
Obwohl Toluran ein so zurückgezogenes Leben führte und sich ausschließlich für seine Pflanzen und Tiere interessierte, wurde er stets mit den neuesten Gerüchten aus der Stadt versorgt, denn die Frauen, die ihn beim Hüten der Herde ablösten, schwätzten gerne. So kam es, dass ihm auch das Gerede durch den Kopf ging, das trotz eines vom König verordneten Stillschweigens seit dem Vortag in Elan-Dhor die Runde machte. Gerüchte, dass eine weiter als jemals zuvor in die Tiefe entsandte Expedition von einer schrecklichen Kreatur nahezu ausgelöscht worden war.
Mit wachsendem Unbehagen blickte er sich in der Höhle um, doch das Rätsel ließ sich nicht lösen. Stattdessen vergrößerte es sich gleich darauf noch.
Ein weiteres Tier der lauthals blökend und schnaubend in den hintersten Teil der Höhle zurückgewichenen Herde brach aus einer großen Wunde blutend zusammen und verendete, gleich darauf ein weiteres, das direkt
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