Zwergensturm
„Hui, ganz schön groß“, flüster te Tinchena schließlich mehr, als dass sie es sagte. Piggy grunzte zustimmend.
Otto fragte in die Gruppe: „Wie kommen wir da eigentlich rein? Ich nehme an, die haben doch auch besetzte Stadttore?“ „Keine Ahnung“, erwiderte Haggy. „Schauen wir uns das erst einmal aus der Nähe an.“
Sie ritten weiter, doch sosehr Haggy sich auch anstrengte, er konnte keine Stadtmauern und somit auch keine Stadttore erkennen. Er bemerkte, dass auch die anderen angestrengt in Richtung der Stadt blickten. Schließlich war es Zahrin, die feststellte: „Da hau mir doch einer auf den Hinterkopf, da gibt es gar keine Stadtmauern!“ Haggy hielt Stier an und starrte konzentriert auf das, was sich vor ihnen auftat: „Ich denke doch.“ Er zögerte. „Seht mal da, rechterhand vom Palast, auf halbem Wege zu den Ausläufern der Stadt. Da steht etwas, das wie eine Mauer aussieht. Offenbar ist die Stadt über ihre Grenzen hinausgewachsen.“ „Aber wie sichern die die Stadt dann, ohne funktionierende Mauern?“, fragte Tinchena in die Runde. Otto versuchte eine Erklärung: „Nun, da dreißig Jahre lang kein Unheil drohte und die Stadt fernab möglicher Feinde liegt, haben sie die Sicherung womöglich aufgegeben.“ „Irre“, bemerkte Tinchena. „Dafür werden sie vermutlich den Palast umso mehr schützen“, bemerkte Zahrin. Haggy schwenkte, offenbar wenig überzeugt, den Kopf hin und her: „Komisches Volk, diese Dunkelelfen. Sind wohl alle damit beschäftigt, unser aller Geld auf den Kunstmärkten der Welt zu verplempern. Da haben sie keine Zeit mehr, Wache zu schieben.“ Otto und Zahrin lachten.
Die Stadt lag nun kaum mehr tausend Schritte entfernt, und tatsächlich: Nur ein paar Mauerreste inmitten des bebauten Gebietes zeugten von den ehemaligen Stadtbefestigungen. Die äußeren Ausläufer der Stadt hingegen ragten mitten in die Landschaft hinein.
Die Häuser, die am Rand der Stadt lagen, waren von einfacher Bauart. Holz, Lehm … Nur wenige Wände bestanden hier aus Stein. Trotzdem sahen die Hütten nicht wirklich ärmlich aus.
Es war nun früher Abend, als sie die ersten Häuser und Hütten erreichten. Die Straße, von der sie kamen, führte geradeaus in die Stadt hinein, mitten durch die Häuserzüge. Sobald die ersten Häuser passiert waren, taten sich Seitenwege und -straßen auf, die von der Hauptstraße wegführten. Die Bebauung war relativ eng, enger, als sie es aus Pruda kannten. Es lag ein typischer Stadtgeruch in der Luft – der Duft frisch zubereiteter Speisen vermischte sich mit dem der brennenden Feuer aus den Schmieden und den Wohnhäusern.
Dunkelelfen sahen sie keine.
Die Stadtbewohner, die ihnen über den Weg liefen, schenkten ihnen kaum Beachtung. Offenbar war man in der Stadt Reisegruppen gewohnt. Lediglich Piggy vermochte es, den einen oder anderen Blick auf sich zu ziehen.
Bald kamen sie an eine Kreuzung. Die Straße, die quer zur Hauptstraße verlief, war fast ebenso breit wie diese. Haggy hielt sein Pony an. Er sah zu seinen Freunden und fragte: „Wo sollen wir lang? Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll.“ Aufgeregt schubste Tinchena Zahrin an und forderte sie auf, ihr das Bild vom Zwergenkönig zu geben. Zögernd kam Zahrin dem nach. Tinchena ergriff das Bild vom Pony aus, stieg ab und lief, mit dem Bild wedelnd, auf die erste Person zu, die sie sah: einen Zwerg mittleren Alters. Sie streckte ihm die Hand entgegen, um ihn aufzufordern, anzuhalten, was dieser auch überrascht tat. Sie legte den Kopf zur Seite, musterte den Zwerg und fragte ihn schließlich: „Bist du der König der Zwerge?“ Der Zwerg, völlig überrumpelt, suchte sichtbar nach Worten. Nun stieg auch Haggy ab und eilte herbei. „Nein, nein, meine Freundin beliebt zu scherzen. Lasst euch nicht aufziehen! Aber im Ernst, kennt ihr diesen Zwerg hier, den auf dem Bild?“ Dem Befragten war seine Verwirrung immer noch anzusehen. Zögernd blickte er auf das Bild und erwiderte: „Nein, ein derartiges Zwergenkind ist mir nicht bekannt.“ Haggy entgegnete: „Er dürfte mittlerweile älter sein. Die Narbe unter dem linken Auge sagt euch nichts?“ „Nein, tut mir leid.“ Kopfschüttelnd ging der Zwerg seiner Wege.
Auch Otto war inzwischen abgestiegen und kam auf die beiden zu: „Tinch, du kannst nicht einfach die Leute nach dem König der Zwerge fragen.“ „Warum denn wohl nicht?“, fragte sie leicht zickig zurück. „Hier gibt es seit dreißig Jahren nur noch die
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