Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
machen. Können Sie mich wirklich verstehen? Sie müssen dann hier Ihre Einverständniserklärung unterschreiben.«
Der Arzt hielt ihm einen Kuli und ein Kunststoffbrett hin, auf dem ein weißes Blatt Papier festgeklemmt war. Darauf standen eine Fülle von Paragraphen, soweit Esch feststellen konnte.
Und da er in seinem Studium gelernt hatte, dass man an Haustüren und in Notaufnahmen von Krankenhäusern trotz Rücktrittsrecht grundsätzlich nichts unterschreiben soll, schüttelte er heftig den Kopf.
»Er versteht uns nicht«, sagte der Arzt.
»Schon. Scharum schagen Schie scho schwas?«
»Er fantasiert. Herr Esch, wir geben Ihnen jetzt ein Mittel und Sie schlafen ein. Wir kriegen das hin, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Scheiße«, ließ Rainer laut und deutlich vernehmen, machte sich jede Menge Sorgen und schlief ein.
30
Das Erste, was Rainer erkennen konnte, war ein helles Licht.
Er blinzelte mit den Lidern und versuchte die Augen zu öffnen.
Irgendetwas hinderte sein rechtes Lid daran, wie befohlen nach oben zu klappen. Also versuchte er zunächst nur mit dem linken Auge seine Umgebung zu erkunden.
Das helle Licht war die Sonne, die durch ein großes Fenster ins Zimmer schien. Die Wände des Raumes waren weiß gestrichen. Links vor seinem Bett, welches ihn an ein Krankenhausbett erinnerte, stand ein hellgrau lackierter, metallener Beistelltisch. Weiter hinten im Raum befanden sich ein kleiner Kiefernholztisch und zwei Stühle. Da Rainer nicht die geringste Ahnung hatte, wo er war, machte er sein Auge wieder zu und dachte nach.
Seine Vermutung wurde zur Gewissheit, als sich die Zimmertür öffnete und eine weibliche Stimme mit professioneller Freundlichkeit durch den Raum rief: »Na, sind wir schon wach?«
Esch öffnete erneut sein linkes Auge und versuchte sich aufzurichten, was ihm mit Hilfe der Krankenschwester, die das verstellbare Kopfteil seines Bettes in eine höhere Lage klappte, auch gelang.
»Wie geht es uns denn heute?«, erkundigte sich strahlend die personifizierte Zuversicht.
Rainer bemühte sich, nach rechts zu schauen, was trotz größerer Schmerzschübe auch klappte, konnte aber nur ein weiteres leeres Bett erkennen. Die Krankenschwester musste also mit ihrem Plural lediglich ihn meinen. Er drehte seinen Kopf wieder nach links und konnte mit einem halb offenen Auge in das mitleidige Gesicht der Schwester schauen.
»Bin ich hier in einem Krankenhaus?«, nuschelte Rainer und erschrak selbst von dem Gekrächze.
»Ja, natürlich. In der Unfallklinik an der Wiescherstraße«, flötete die junge Frau voller Herzlichkeit.
»Was für ein Tag ist heute?«, wollte Rainer wissen.
»Freitag. Sie haben anderthalb Tage geschlafen.«
Schon Freitag.
»Was ist mit meinem rechten Auge? Und warum kann ich meinen Mund nicht richtig öffnen?«
»Das kriegen wir schon wieder hin«, beruhigte ihn die Schwester und setzte eine Spritze. »Der Doktor kommt später zu Ihnen. Wir werden schon wieder ganz gesund, machen Sie sich keine Sorgen.«
Auch das noch, dachte Rainer und sank erschöpft zurück in sein Kissen. Auch das noch.
Als Rainer wieder einschlief, hatte er schreckliche Visionen von Icke, der mit einer Kreissäge bewaffnet Dennis und Cengiz Arme und Beine abschnitt. Dann träumte Esch von hübschen Krankenschwestern mit riesigen Spritzen, die gemeinsam mit uralten Doktoren, denen blutige Fingerstümpfe aus den Taschen ihrer Weißkittel herausfielen, auf U-Bahn-Stationen um Fahrkartenschalter herumtanzten und immer wieder zur Melodie der deutschen Nationalhymne sangen:
›Machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen wir wieder hin, machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen wir wieder hin.‹
Rainer war wieder wach, als der behandelnde Arzt sein Zimmer betrat.
»Na, wieder unter den Lebenden?«
»Weiß ich noch nicht so genau«, antwortete Esch. »Mir tut jeder Knochen weh.«
»Kein Wunder. Ihre Freunde haben Sie ganz schön in die Mangel genommen. Sie hatten ziemliches Glück. Eine Zivilstreife der Polizei ist Ihnen in die U-Bahn-Station gefolgt und gerade noch rechtzeitig eingeschritten. Sonst…«
Esch, der nicht das geringste Interesse daran hatte zu erfahren, was denn sonst noch hätte passieren können, unterbrach den Mediziner. »Können Sie mir erklären, was mit mir los ist?«
»Deshalb bin ich hier. Fangen wir mit Ihrer Rippe an. Sie ist nicht gebrochen, nur angebrochen, was aber im Grunde auf dasselbe hinausläuft: Sie werden beim Atmen, beim Gehen, beim Lachen, bei
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