Zweyer, Jan - Rainer
bekomm den Fuß nicht rechtzeitig frei. Und dann hat es auch schon geknallt. Blöderweise war ich noch nicht angeschnallt. Erst mit der Brust gegen das Lenkrad, anschließend mit dem Kopf vor die Scheibe.«
Baumann war aufgesprungen und mit einem
Papiertaschentuch zu Brischinsky geeilt. »Soll ich…?«
»Danke. Das ist nur ein Kratzer. Nur der verdammte Fuß tut höllisch weh.«
»Du musst zum Arzt.«
»Später. Der andere Wagen ist im Übrigen auch ziemlich kaputt. Die ganze Seite eingedrückt.«
»Lässt sich reparieren.«
»Sicher. Aber weißt du, wem die Karre gehört?«
»Sag schon.«
»Dem Polizeipräsidenten.«
41
Rainer fand die Rellinghauser Straße in Essen dieses Mal auch ohne Stadtplan. Heute stellte er seinen Mazda aber in einer der nahe gelegenen Tiefgaragen ab. Das war immer noch preiswerter, als sich ein neues Knöllchen einzufangen.
Pünktlich um zehn Uhr stand er, mit Jörg Deidesheims Krankenakte in der Tasche, vor Karin Semmler und stellte sich vor. Die Sekretärin der FürLeben GmbH, mit der er bisher nur telefoniert hatte, war deutlich älter, als er nach Kenntnis ihrer Stimme vermutet hatte. Sie war dunkelhaarig, braun gebrannt und trug trotz der Hitze ein dunkles Kostüm mit weißer Bluse.
Überhaupt strahlte der ganze Laden eine ausgesprochene Distinguiertheit aus: flauschiger dunkelgrauer Teppichboden, die Wände in dezentem Hellgrau, Design-Halogenstrahler an der Decke, Möbel aus schwarzem Ebenholz, raumhohe, ausladende Pflanzen, Dali-Drucke an den Wänden. Das ganze Interieur sagte: Wir sind seriös!
»Herr Schmidt hat leider noch keine Zeit für Sie, Herr Esch.
Wenn Sie dort noch einen Augenblick Platz nehmen möchten?« Sie deutete auf eine Ledersitzgruppe in der hinteren Ecke des Empfangsraums. »Kaffee? Espresso?«
»Espresso, bitte.«
»Zucker, Milch?«
»Nur Zucker, danke.«
Neben Werbebroschüren der FürLeben lagen auf den Beistelltischen nur solche Zeitschriften aus, die Lust darauf machten, Geld auszugeben – sofern man denn darüber verfügte: Schöner Wohnen, Yacht, Traumreise und ähnliche Presseerzeugnisse. Esch blätterte gelangweilt in einem Einrichtungsblatt, bewunderte einen Esstisch, der mehr kosten sollte, als er für die gesamte Möblierung seiner Wohnung bezahlt hatte, und nippte am Espresso. Rauchen war in diesen heiligen Hallen anscheinend verpönt, weit und breit war kein Aschenbecher sichtbar. Danach fragen wollte Rainer nicht.
Das Ambiente beeindruckte selbst so gefestigte Naturen wie ihn. Vermutlich war das genau der Zweck des Ganzen.
Wenig später geleitete ihn Karin Semmler in das Büro von Peter Schmidt, dem Geschäftsführer von FürLeben, wie der Anwalt bereits wusste.
Schmidt war einen guten Kopf kleiner als Rainer, schlank, höchstens fünfzig Jahre alt. Grauer Anzug, blaues Hemd, gelber Binder. Spätestens jetzt fühlte sich Rainer in seiner Jeans und Lederjacke etwas underdressed. Der Geschäftsführer stand auf und kam dem Anwalt entgegen. Rainer fiel der etwas nach vorn gebeugte, fast schlurfende Gang auf, so als ob Schmidt zentnerschwere Lasten auf seinen Schultern schleppte. Der Versicherungsmann begrüßte ihn herzlich und bat den Besucher, am Konferenztisch Platz zu nehmen.
Der Anwalt sah sich verstohlen um. Das Büro war ebenso geschmackvoll eingerichtet wie die Räumlichkeiten, die er schon gesehen hatte. Allerdings war eine der Wände über und über mit gerahmten Kinderzeichnungen bedeckt.
»Meine Kleine«, erklärte Schmidt mit verlegenem Lächeln, als er Rainers Interesse bemerkte. »Ich habe ihr versprochen, jedes Bild, das sie mir schenkt, in meinem Büro aufzuhängen.«
Esch nickte verstehend, obwohl ihm dieser Umgang mit dem kindlichen Schöpfungsdrangs etwas übertrieben entgegenkommend erschien. Die Hälfte oder vielleicht nur ein Drittel der Kunstwerke hätte es auch getan.
»Was führt Sie zu uns, Herr Esch. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir doch erst vor wenigen Tagen miteinander telefoniert, oder?«
Das weißt du doch ganz genau, dachte Esch. Vermutlich liegt der Aktenvermerk über das Gespräch noch auf deinem Schreibtisch. »Sie haben Recht. Aber ich bin heute nicht wegen Horst Mühlenkamp bei Ihnen.«
»Nicht?«
»Nein. Die Angelegenheit ist etwas, wie soll ich sagen, delikat.«
»Ja?«
»Sie wissen sicher, dass es Selbsthilfegruppen auch für Leukämiekranke gibt?«
»Tatsächlich?« Schmidt heuchelte Interesse.
»Eine dieser Gruppen besuchte auch mein Mandant Horst
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