Zwielicht
daß beide Türen offen blieben, damit wir einander hören konnten, falls jemand von uns nachts um Hilfe rief.
Ich versicherte ihr, daß die Trolle nichts von unseren Taten und Plänen ahnten.
»Sie haben keinen Grund, heute nacht herzukommen«, sagte auch Rya beruhigend.
Wir erzählten Cathy nicht, daß dieses Haus Klaus Orkenwold gehörte, daß er der neue Polizeichef von Yontsdown und ein Troll war, und daß er im Keller drei Menschen gefoltert und ermordet hatte.
Trotzdem blieb Cathy sehr nervös, und weil sie Angst vor der Dunkelheit hatte, stellten wir eine Nachtbeleuchtung her, indem wir eine Nachttischlampe mit einer ihrer dunklen Blusen umhüllten.
Als wir sie verließen, fühlte ich mich hundsmiserabel — so als würden wir ein Kind dem Monster unter dem Bett oder dem Ungeheuer im Schrank ausliefern.
Rya schlief schließlich ein.
Ich hingegen fand sehr lange keinen Schlaf.
Dunkler Blitz.
Dieser schwarze Blitz ging mir einfach nicht aus dem Sinn. Was mochte er nur bedeuten?
Hin und wieder stieg aus dem Keller, wo Orkenwold eine Frau und zwei Kinder bestialisch umgebracht hatte, eine vage Welle psychischer Strahlung zu mir empor — etwa so, als würde einem ab und zu der Verwesungsgeruch unter dem Haus begrabener Leichen in die Nase steigen.
Wieder war ich überzeugt davon, daß ich uns unbewußt an diesen Ort geführt hatte, daß meine hellseherische Begabung ausgerechnet dieses Haus ausgesucht hatte, weil es mir bestimmt war, mit Klaus Orkenwold abzurechnen — wie mit seinem Vorgänger Lisle Kelsko.
Aus dem unablässigen Heulen des Windes glaubte ich die schrillen Schreie der Troll-Mißgeburten herauszuhören; ich mußte gegen die absurde Vorstellung ankämpfen, sie hätten sich — von Kugeln durchbohrt und bis auf die Knochen verkohlt — aus den rauchenden Ruinen des Hauses befreit und suchten winselnd in der Nacht nach mir, mit dem untrüglichen Spürsinn von Höllenhunden, die verdammte Seelen gnadenlos ausfindig machen.
Jedesmal, wenn irgendwo im Haus etwas knarrte oder knisterte, was bei der grimmigen Kälte und dem starken Wind ganz natürlich war, glaubte ich, knisternde Flammen zu hören, die das Erdgeschoß verzehrten — ein verheerender Brand, gelegt von Kreaturen, die ich im Eisenkäfig erschossen und verbrannt hatte. Jedesmal, wenn sich die Heizung einschaltete, zuckte ich erschrocken zusammen.
Neben mir stöhnte Rya im Traum. Zweifellos war es wieder jener Alptraum.
Gibtown, Joel und Laura Tuck und meine anderen Schaustellerfreunde waren so weit entfernt — und ich sehnte mich nach ihnen. Ich dachte an sie, rief mir das Gesicht jedes einzelnen in Erinnerung und fühlte mich dadurch etwas besser.
Mir kam plötzlich zu Bewußtsein, daß ich mich nach ihnen sehnte und aus ihrer Liebe neuen Mut schöpfte, so wie mich einst die Liebe meiner Mutter und meiner Schwestern getröstet und gestärkt hatte. Und das bedeutete wahrscheinlich, daß meine alte Welt, die Welt der Familie Stanfeuss, für mich endgültig verloren war.
Mein Unterbewußtsein hatte sich mit dieser schrecklichen Tatsache offenbar bereits abgefunden, aber bewußt hatte ich das bisher nicht verarbeitet. Die Schausteller waren jetzt meine Familie, und es war eine gute Familie, die beste Familie, die man sich nur wünschen konnte. Trotzdem erfüllte es mich mit tiefer Trauer, daß ich höchstwahrscheinlich nie wieder nach Hause zurückkehren konnte, daß meine Mutter und meine Schwestern für mich gewissermaßen gestorben waren, obwohl sie noch lebten.
25 - Vor dem Sturm
Am Samstagmorgen waren die Wolken von bedrohlicherem Grau als am Freitag, und der Himmel hing noch tiefer, so als wäre die dunklere Farbe auch mit einem größeren Gewicht verbunden. Dem heulenden und pfeifenden Wind war die Puste ausgegangen, doch die eingetretene Stille wirkte nicht beruhigend. Eine unheimliche Spannung schien über der verschneiten Landschaft zu liegen. Die Silhouetten der Nadelbäume vor dem Hintergrund des schieferfarbenen Himmels glichen Wachposten, die ängstlich den Vormarsch mächtiger feindlicher Armeen erwarteten. Die anderen Bäume reckten ihre schwarzen skelettartigen Arme empor, so als wollten sie vor einer herannahenden Gefahr warnen.
Nach dem Frühstück brachte Cathy Osborn ihr Gepäck ins Auto zurück. Sie wollte die Fahrt nach New York fortsetzen, aber sie würde sich dort nur drei Tage aufhalten, um ihre Wohnung zu kündigen, ihr Entlassungsgesuch bei der Universität einzureichen (unter dem
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