Zwielicht in Cordoba
reagierte er nicht.
»Mama, inzwischen weiß ich mehr über die Vorgänge und fürchte, daß es zu gefährlich ist, ihn hierzubehalten. Er gehört zur Prätorianergarde. Ich schätze, man kann ihnen zumuten, sich um einen der ihren zu kümmern. Ich habe mit einem Zenturio gesprochen, den ich kenne. Im Prätorianerlager ist Anacrites sicherer. Demnächst wird ein Mann namens Frontinus hier auftauchen und ihn möglichst unauffällig abholen. Danach solltest du niemandem gegenüber erwähnen, daß du Anacrites hier bei dir hattest.«
»Oh, ich verstehe!« beschwerte sich Mama äußerst beleidigt. »Jetzt bin ich plötzlich nicht mehr gut genug!«
»Du bist wunderbar«, beruhigte Helena sie. »Aber wenn seine Angreifer herausfinden, wo er ist, bist du nicht stark genug, sie abzuwehren.« Doch so, wie ich meine Mutter kannte, hätten die Burschen zumindest nichts zu lachen gehabt.
Helena und ich setzten uns für eine Weile zu Anacrites, damit Mama sich ausruhen konnte. Mutters Vorstellung von Ausruhen bestand darin, sich fünf Einkaufskörbe zu schnappen und zum Markt zu eilen, nachdem sie Helena zuvor mit ein paar rüden Bemerkungen über ihr Aussehen und finsteren Ermahnungen über das Verhalten in der Schwangerschaft überhäuft hatte. Ich sah, wie sich Helena auf die Zunge biß. Mama schlurfte eilends davon. Wenn sie unterwegs ein paar ihrer schrumpeligen, scharfzüngigen Freundinnen traf, was wahrscheinlich war, würde sie stundenlang weg sein. Das machte unseren Besuch bei ihr zur Farce, war aber typisch für meine Familie. Zumindest wurde dadurch Streit vermieden. Zweifellos waren wir gerade einem weiteren Streit eben noch um Haaresbreite entkommen.
Anacrites, Helena und ich hatten die Wohnung jetzt für uns. Ohne Mamas ständiges Hin- und Hergejage war es gespenstisch ruhig. Der Kranke lag in einem Bett, das zu verschiedenen Zeiten meinem älteren Bruder und mir gehört hatte. Als wir noch klein waren, hatten wir es manchmal sogar geteilt, also war es zum Schauplatz manch unanständiger Gespräche und abenteuerlicher Pläne geworden – Pläne, die sich nie erfüllt hatten. Ich war von Zuhause fortgegangen und schließlich Privatermittler geworden. Mein Bruder war tot. Bevor er in Judäa fiel, hatte Festus auf seinen Urlauben von der Armee meist hier genächtigt. Nur die Götter mochten wissen, welche heimlichen Ausschweifungen unser kleines Zimmer da gesehen hatte.
Mit Helena hier zu sein war ein merkwürdiges Gefühl. Noch merkwürdiger war, daß das vertraute alte Bett mit seinem wackeligen Holzrahmen und den verdrehten Gurten jetzt eine braunkarierte Decke aufwies, die ich noch nie gesehen hatte, und ein nagelneues Kopfkissen. Nach kurzer Zeit sandten meine Augen Botschaften aus, die besagten, daß ich Helena geschnappt und meine Bekanntschaft mit dem alten Bett erneuert hätte, wäre es nicht so unpassenderweise von Anacrites besetzt gewesen …
»Treib’s nicht zu weit«, murmelte Helena, wie ich hoffte ebenfalls bedauernd.
Da Anacrites nichts Sinnvolles beizusteuern hatte, mußten wir selbst die Unterhaltung bestreiten. Es war der Morgen nach dem Essen im Haus der Camilli. Ich hatte Helena über alle Fakten informiert, aber die Geschichte war uns immer noch unklar.
»Jemand war sehr dumm«, sagte ich. »Es mag durchaus eine Handelsverschwörung in Corduba geben. Wahrscheinlich sind Anacrites und sein Agent angegriffen worden, um die Nachforschungen zu unterbinden. Daß diese Gruppe Baeticaner Rom so schnell verlassen hat, deutet stark darauf hin, daß sie Wind davon bekommen hatten. Aber unsere Beamten wissen ebenfalls Bescheid. Claudius Laeta kann alle Schritte unternehmen, die er von seiner Seite für notwendig hält. Er hat sich offenbar zum amtierenden Oberspion gemacht und hat alle Entscheidungen in der Hand. Aber ich laß mich ganz gewiß nicht nach Baetica schicken.«
»Verstehe«, erwiderte meine Liebste, stets die Königin des Unerwarteten. »Dann gibt es ja nichts zu besprechen.« Ihre braunen Augen schauten nachdenklich, meist ein Anzeichen dafür, daß sich etwas zusammenbraute. »Marcus, ist dir klar, daß du vielleicht gerade noch Glück gehabt hast in der Nacht des Festessens und der Überfälle?«
»Wieso das?« Ich gab mich ahnungslos.
»Du bist als kaiserlicher Agent bekannt, und du hattest mit Anacrites geredet. Ich nehme an, daß du auch einen Grund gefunden hast, dich dem hübschen Tanzmädchen zu nähern …« Ich schnalzte mit der Zunge. Unbeirrt fuhr Helena fort: »Und
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