Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
schwieg sie. Hauptsache, der Schattenmann kehrte zu seiner Aufgabe zurück. Ihr Leben war ohnehin vorüber. Das bewiesen die zahlreichen Situationen der letzten Tage, in denen sie dem Tod nur knapp entkommen war. Je eher sie das lösten, desto eher ging ihr Albtraum zu Ende.
»Custo«, flehte Talia. »Bitte.«
Custo stand auf und drehte seinen Stuhl herum. »Dass jemand wiedergeboren wird, kommt äußerst selten vor. In allen mir bekannten Fällen ging es um die Bewältigung einer besonders wichtigen Aufgabe. Das zweite Leben an sich ist nebensächlich. Layla kam beispielsweise als Waise auf die Welt. Ohne Chance, ihre leibliche Mutter ausfindig zu machen. Layla hat nie Anschluss an ihre Pflegefamilien gefunden, ist von einem System erzogen worden und fast allein durchs Leben gegangen.«
»Grausam«, sagte Talia mit glänzenden Augen.
Nein, dachte Layla, sie hatte einen Auftrag, sie hatte es nur nicht gewusst. Als Kathleen hatte sie bereits ein wunderschönes Leben gehabt. Jetzt ging es darum, deren Aufgabe zu Ende zu führen, die nun ihre Aufgabe war. Die Realität war furchtbar, ließ sich jedoch nicht ändern.
Adam ging auf Custos Ausführungen ein: »Das klingt logisch. Ihre Arbeit war von einem intensiven Interesse an den Geistern und an Segue bestimmt. Und sie hat außerordentliche Strecken zurückgelegt, um an Talia heranzukommen.«
»Warum hat man sie dann nicht als Engel zurückgeschickt?«, fragte Talia.
Layla wusste es, doch der Schattenmann antwortete an ihrer Stelle: »Dann hätten wir uns nicht berühren können.«
Engel und Schattenwesen waren Gegensätze, das Licht der Ersten zerstörte die Dunkelheit der Zweiten, weshalb Custo auf Abstand zum Schattenmann blieb.
Layla errötete, als kühle Schatten sie umarmten, ihre Haut streichelten und ihren Pulsschlag beschleunigten. Lustvolle Wellen strömten quälend durch ihre Lenden, denn es bestand keine Hoffnung auf Erlösung. Ja, vor die Wahl gestellt, als Engel zurückzukehren, der zwar alles wusste, jedoch nicht mit ihm zusammen sein konnte, oder als unwissende Sterbliche, würde sie sich stets für die Sterblichkeit entscheiden.
»Kathleen muss mit diesem Geschäft einverstanden gewesen sein«, sagte der Schattenmann hart, während er zugleich die Schatten nach Layla ausstreckte. Er ließ sie nicht aus den Augen. »Sie hat sich dieses Schicksal ausgesucht.«
Daraufhin hob Layla das Kinn und straffte die Schultern. Er hatte das Recht, sich wie ein kalter Mistkerl zu verhalten. Schließlich verlangte sie das Schlimmste von ihm. Sie verriet ihn.
»Ich verstehe nicht«, sagte Talia, »wieso nicht auch Khan über sein Schicksal entscheiden kann. Er ist immer der Tod gewesen. Es wird Zeit, dass jemand anders diese Aufgabe übernimmt. Dann kann er auf Layla aufpassen.«
»Die Engel sind bereits eingesprungen«, sagte Custo. »Aber sie können nicht die gesamten Zwielichtlande abdecken. Das Gelände ist riesig. Und sie spüren nicht, wenn jemand über die Grenze tritt, so dass sie ihn gleich dort abfangen können. Seelen sind verlorengegangen und müssen wiedergefunden werden. Das kann nur Khan. Seine Abwesenheit wird zunehmend zum Problem.«
Der Schattenmann kochte vor Wut. »Er meint, ich hätte keine Wahl.«
»Aber das stimmt nicht«, erwiderte Layla. »Du hast schon einmal eine Entscheidung getroffen. Ich bitte dich, es ein weiteres Mal zu tun. Die Vorstellung, dass eine verlorene Seele in den Zwielichtlanden vergeht, während du und ich anderswo wer weiß was machen … ist unerträglich.«
»Nein, Layla«, unterbrach Custo. »Auch das hast du falsch verstanden.«
Ihr Blick forderte ihn auf, ihr das zu beweisen.
»Wie der Großteil des Ordens bin auch ich der Ansicht, dass deine Verbindung mit dem Schattenmann notwendig war. Denn durch euch zwei ist die Magie zurück in die Welt gelangt. Kunst und Erfindungsgeist erleben eine moderne Renaissance. Diese Bewegung bewirkt Gutes und Schlechtes, aber beides ist unabdingbar für das Wohlergehen der Menschheit. Es war höchste Zeit. Wir stehen am Rand eines neuen Zeitalters.«
»Und der Teufel?«, widersprach sie. »Er ist durch mich in die Welt gelangt.«
Custo schüttelte den Kopf. »Wenn es schon den Engeln unseres Ordens schwerfällt, dem Tor zu widerstehen, konntest du dich unmöglich seinem Sog widersetzen.«
»Selbst ich habe sein Rufen gehört«, bestätigte der Schattenmann. Er wandte seinen Blick Custo zu. »Und ich bin der Tod.«
Layla hielt den Atem an. Da. Er hatte es
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