Zwischen den Zeilen
nicht für immer verstecken... und je näher man sich kommt, desto schwieriger wird es. Es sind so viele banale Situationen... Kleinigkeiten, aus denen man sich immer und immer wieder windet, bis es keinen Ausweg mehr gibt...
Einen kurzen Moment hab ich drüber nachgedacht, es ihm zu sagen. Meinem Ich kann das nicht einfach die Wahrheit folgen zu lassen, anstatt mich auf eine dubiose Drogenerfahrung rauszureden, die es ausnahmsweise wirklich gegeben hat. Eine Akte bezweifle ich allerdings. Sie haben damals ziemlich uninteressiert meine Personalien aufgenommen und Gerd hat mich mitten in der Nacht auf dem Revier abgeholt.
Vielleicht hätte ich es ihm sagen sollen. Aber dann konnte ich nicht. Weil er die Augenbrauen hochgezogen und amüsiert gegrinst hat. Dieses Du machst einen Witz auf seinem Gesicht, das keine weitere Option zugelassen hat. Und ich wünschte mir, diese weitere Option gäbe es tatsächlich nicht. Alles wäre normal und vor allen Dingen ich wäre es. Aber das ist es nicht und vermutlich hätte er mir auch nicht geglaubt. Weil die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die nicht wie er mal eben eine Einkaufsliste oder ein Rezept schreiben können, für jemanden wie ihn vermutlich zu abstrakt ist.
Denn selbst wenn man weiß, dass es solche Menschen gibt, weil man vielleicht mal davon gehört oder gelesen hat, ist es für Typen wie Josh nicht mehr als blanke Theorie. Man lernt sie nicht kennen... und vor allen Dingen verliebt man sich nicht in sie...
Langsam öffne ich die Hand, starre auf das zerknüllte Papier, streiche es glatt und betrachte die Buchstaben. Ich mag seine Schrift. Klein, ziemlich gerade und ordentlich. Ich stelle mir vor, wie ein Ich liebe dich aussehen würde, das er mir schreibt. Auch wenn es lächerlich ist. Ich könnte es nicht einmal lesen...
Vielleicht werde ich es ihm schreiben, heute Abend im Kurs. Ich könnte Frau Markwart fragen. Sie sagt, wir sollen so viel schreiben wie möglich. Darüber lernt man es am besten. Nur ich lerne es vermutlich nie…
Sieben Sachen stehen auf dem Zettel. Taschentücher, Rasierschaum, Halsschmerztabletten, Erkältungstee, Mundwasser und Aspirin. Daran kann ich mich erinnern. Aber es sind nur sechs Dinge, die er gesagt hat und die ich ihm, neben den Tropfen aus der Apotheke, besorgen soll. Vielleicht hat er den Hustensaft noch mit draufgeschrieben.
Angestrengt versuche ich, die Worte zu entziffern. Das erste ist beinahe so breit wie der Zettel, die vier, die ihm folgen, ungefähr die Hälfte. Die beiden letzten sind eher kurz, vermutlich sollte ich also damit anfangen. Das erste der beiden beginnt mit einem A . Vermutlich sind es die Aspirin. Das zweite mit einem K . Vielleicht auch ein H , ich weiß es nicht so genau. Für Halsschmerztabletten ist es zu kurz und der zweite Buchstabe ist sicher ein O . Ko… Ko… Ko… Codein vermutlich. Zum Glück! Ich sollte mir das Mundwasser anschauen und mich nicht länger als nötig hier verstecken.
Suchend sehe ich mich in seinem Badezimmer um. Unter dem Spiegel auf dem Regal stehen Flaschen und Tuben. Ein Cremetie-gel, eine Packung Wattestäbchen. Aber das, was ich suche, finde ich nicht. Mundwasser. Listerine , hat er gesagt, das blaue. Ich benutze es nicht, also kenne ich die Verpackung nicht und wenn ich es mitbringen soll, muss ich es vorher sehen. Dann ist es kein Problem. Allerdings sollte ich es dazu erst mal finden.
Schwerfällig löse ich mich von der Tür, gehe rüber zum Waschbecken, ohne dabei in den Spiegel zu sehen, und öffne den kleinen Unterschrank. Er ist vollgestopft mit allem möglichen Krempel. Duschgel im Zweierpack, ein paar Rollen Toilettenpapier, ein Bimsstein in Herzform, eine angebrochene Packung rosa Einweg-rasierer, Shampoo, eine Tube Zahnpasta. Nirgendwo Mundwasser. Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Natürlich könnte ich einfach eine Verkäuferin fragen. Aber das tue ich ungern. Überhaupt hasse ich Einkaufen. So viele Packungen, so viele Dinge darauf, die ich nur schwer entziffern kann. Und manchmal verstehe ich es, auch wenn ich die Buchstaben erkenne, trotzdem nicht.
Ich gehe selten in einen Supermarkt. Meist in den kleinen Edeka ein paar Straßen weiter. Das ist mein Revier, dort kenne ich mich aus. Ich weiß, wo alles steht, was ich brauche, und muss nicht übermäßig lange suchen. Auf den meisten Packungen gibt es, neben der Schrift, auch ein entsprechendes Bild. Sachen, auf denen keine Bilder sind, kaufe ich nicht. Obwohl ich weiß, dass sie oft billiger
Weitere Kostenlose Bücher