Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
hatte darauf bestanden, die Rechnung zu übernehmen, und nach dem Bezahlen hatte er betont, dass es sich um eine private Einladung handelte, indem er die Rechnung auf dem Tisch hatte liegen lassen. Danach hatte er sich entschuldigt und war zur Toilette gegangen, und sofort hatte Wendell sich die Rechnung gekrallt, wie es nun einmal seine Art war. Die Zeitung konnte sich das schließlich leisten, und zu seinen Ehren musste man sagen, dass er niemals die Namen seiner Gewährsleute auf die Rückseite schrieb. Wendell war einfach ein bisschen geizig, und außerdem war bald Weihnachten, und es traf ja schließlich keinen Armen.
Als sie sich trennten, fuhr Wendell in die Redaktion zurück, Johansson ließ sich von einem Taxi nach Hause bringen. Obwohl bald Weihnachten war, hatte er nicht vor, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren und nach Bier, Wein und Grappa zu riechen. Das mochten andere machen, anderswo, wo andere Regeln galten als seine eigenen.
Endlich hatte er seine Taschen ausgepackt. Er hatte seine schmutzige Wäsche sortiert und sie auf die beiden Körbe im Badezimmer verteilt, hatte das, was nicht gewaschen werden musste, im Kleiderschrank untergebracht und die eingekauften Weihnachtsgeschenke auf seinen Schreibtisch gelegt. Übrig waren noch Krassners Papiere, und seine Unlust von vorhin war durch die Begegnung mit Wendell nicht kleiner geworden. Als er im Hotel in New York seine Tasche gepackt hatte, hatte er sie in die Plastiktüte gesteckt, die er beim Kauf seiner neuen Schuhe erhalten hatte, und darin lagen sie noch immer.
Was mache ich jetzt?, überlegte Johansson und wog die Tüte in der Hand, höchstens zwei Kilo. Er verspürte noch immer dieselbe unangenehme Vorahnung, was den Inhalt anging. Ins Büro wollte er die Papiere nicht mitnehmen, dort hatten sie nichts zu suchen, und außerdem gehörten sie ihm. Er hatte sie von der Person erhalten, die Krassners gesamtes irdisches Hab und Gut geerbt hatte, und das allein brachte doch eine gewisse Verantwortung mit sich.
Ich habe ein Problem, dachte Johansson, und da die Papiere nichts mit ihm zu tun hatten, konnten sie auch warten. Ich nehme sie mit zu meinem Bruder, beschloss er. Dort kann ich sie in aller Ruhe lesen, denn wenn schon, dann doch lieber ordentlich. So soll es sein, entschied er. Faltete die Tüte zusammen und legte sie in seinem Arbeitszimmer ins Bücherregal, zu den Büchern, die er ebenfalls mitnehmen und über die Feiertage lesen wollte. Er hatte das Gesuchte gefunden, hatte Glück gehabt, und jetzt würde es ihm nicht weglaufen, weshalb die noch ausstehende Arbeit warten konnte, bis er Lust verspürte, sich ihr zu widmen.
Das Glück zu haben, das Gesuchte zu finden: Unter Archiv- Wissenschaftlern, diesem Beruf, der als Berufung ausgeübt werden sollte, ist das so großartig und selten, dass sie ein eigenes Wort dafür haben. Finderglück. Ein deutscher Begriff, der gar nicht so leicht ins Schwedische zu übersetzen ist, der ursprünglich aber einfach bedeutet, dass man das Glück hat, das nötig ist, damit die Mühen von Erfolg gekrönt werden. Es hat nichts damit zu tun, das man dabei glücklich wird, denn das ist meistens nicht der Fall.
Für einen Archivwissenschaftler wäre Johanssons Reaktion also nicht weiter merkwürdig gewesen. So einer kennt sich aus mit den Gefühlen, die folgen, wenn einem diese seltene Gnade zuteil wird: die Ambivalenz, die Zweifel, der seelische Kater oder in schwer wiegenden Fällen auch Angst und Reue, die sich einstellen können, wenn man den Fund in seinen mageren Händen hält. Und natürlich die Möglichkeit, dass das, was man gefunden hat, leider beweist, dass man sich in seinen Hypothesen oder Theorien gewaltig geirrt hat.
Johansson war nun wirklich kein Archivwissenschaftler, aber in seinen Jahren als Ermittler hatte er Hunderte von Stunden dem gewidmet, was auf Polizeischwedisch »innere Ermittlung« genannt wird. Er hatte die Wahrheit oder Spuren der Wahrheit in allerlei polizeilichen und anderen Registern gesucht und kannte sich aus mit den Gefühlen, die sich mit den seltenen Erfolgen und den häufigen Misserfolgen eben einstellen. Einmal hatte er auf diese Weise sogar einen Mörder gefunden, und da das Opfer ein ganz besonders übler Kerl gewesen war, der Täter dagegen ein ganz normaler, sympathischer Mensch, hatte er später und in Gedanken die Kombination von Intuition und beruflicher Sorgfalt verflucht, die ihn auf die richtige Spur geführt hatte, während seine Kollegen allesamt in
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