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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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Zusammenhängen und Milieus« verfügte, wie der Botschafter a.D. die Sache zusammen- fasste, in dem ansonsten überaus freundlichen Brief, in dem er sich beim Polizeichef für die Einladung zum Seminar bedankte.
    Der Polizeichef hatte die Teilnehmer zuerst willkommen geheißen, dann hatte er über wissenschaftliche Detektive in der Literatur und im so genannten wirklichen Leben einen kleinen Vortrag gehalten, in dem Holmes, Bertillon, Locard und sein eigener großer Amtsvorgänger, Georg Liljensparre, aufgetaucht waren. Und erst danach war er auf seine eigene Systematik zu sprechen gekommen.
    »Man braucht immer eine Hauptspur«, sagte der Polizeichef als Erstes. »Unter Hauptspur verstehe ich die Spur, die im Licht früherer empirischer Erfahrungen mit ähnlichen kriminellen Irren als statistisch wahrscheinlichste erscheint.«
    Niemand hatte etwas dagegen gesagt, und die meisten hatten sich eifrig Notizen gemacht.
    »Was die zweitglaubhafteste Alternative angeht«, sagte der Polizeichef dann, »so möchte ich sie als alternative Hauptspur bezeichnen. Das hat unter anderem den Vorteil«, fügte er hinzu, »dass sich im Falle neuer Informationen, die die ursprüngliche Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Alternativen ändert, die alternative Hauptspur leicht in die Hauptspur umwandeln lässt und umgekehrt. Haben Sie irgendwelche Fragen?«
    »Was machen wir mit dem breiten voraussetzungslosen Ansatz?«, fragte einer der Geladenen, dessen Namen er vergessen hatte. Er würde später Grevlinge danach fragen müssen.
    »In diesem Punkt besteht keinerlei Anlass zur Beunruhigung«, sagte der Polizeichef begütigend, denn er hatte an alles gedacht. »Auf der nächsten Ebene, der dritten Ebene unter der Hauptspur und den alternativen Hauptspuren, haben wir nun eine größere oder kleinere Menge so genannter Nebenspuren, und das hat den bedeutenden Vorteil, dass wir so viele Nebenspuren haben können, wie sich aus dem jeweiligen Fall eben ergeben.«
    Die Versammlung bedachte diese logische Selbstverständlichkeit mit tiefem Schweigen.
    »Stellen Sie sich eine Pyramide vor, eine logisch aufgebaute Pyramide«, sagte der Polizeichef. »Von unten nach oben haben wir Nebenspuren, alternative Hauptspuren und Hauptspuren, und natürlich arbeiten wir in der Gegenrichtung, also von oben nach unten, graben uns intellektuell gesehen sozusagen abwärts.«
    »Eine hervorragende Grundregel bei jeglicher analytischer Arbeit«, sagte der pensionierte Diplomat.
    »Genau«, assistierte Kudo, der es angeraten fand, etwas zu sagen, um sich nicht von einer Masse von Zivilisten ausstechen zu lassen.
    Komische Typen übrigens. Wenn es nicht ganz und gar unmöglich wäre, hätte er sie alle drei für Schwule gehalten. Dieser Typ in der Lederjacke, ein Journalist in Diensten der Landespolizeileitung, war wohl kaum einer, dem man in einer düsteren Gasse gern begegnen würde. Schon gar nicht in der Skeppar Karlsgränd, wo sie ja wohl ihren kleinen Treffpunkt hatten, dachte Kudo, der auf eine Vergangenheit bei der ehemaligen Stockholmer Sittenpolizei zurückblicken konnte.
    »Kollege Bülling und ich gehen immer so vor«, fügte er hinzu.
    »Immer von oben nach unten«, murmelte Bülling und zog vorsichtig seinen Fuß zurück, weil irgendwer ihm immer wieder darauf trat.
    »Hervorragend, hervorragend«, lobte der Polizeichef, der nun die Zeit gekommen sah, eine seiner analytischen Innovationen vorzustellen. »Meine Herren, wenn ich Fehlspur sage, woran denken Sie da?«
    »Jaaa«, sagte Grevlinge. »Das treiben die Gauner doch immer, um uns in die Irre zu leiten. Dich und deine Kollegen, meine ich.« Grevlinge sah sich mit einem gewissen Zögern um, denn er war ja schon lange nicht mehr im aktiven Dienst.
    Ich muss was mit Grevlinge machen, dachte der Polizeichef. Ihn zu einem Kurs schicken oder so.
    »In traditioneller Bedeutung, ja«, sagte der Polizeichef. »Aber wenn ich hier von polizeilichen Fehlspuren rede, woran denken Sie dann?«
    An gar nichts, wenn man von den leeren Gesichtern ausgehen durfte, die ihn umgaben.
    »Eine Innovation«, erklärte der Polizeichef mit einem gewissen Stolz. »Alle hier am Tisch haben sich sicher schon einmal in einer Situation befunden, wo sie ihren Gegner in die Irre führen, ihn verwirren, ihn ganz einfach hinters Licht führen wollten. Und daraus ergibt sich die polizeiliche Fehlspur oder einfach Fehlspur, wie ich sie nenne, da wir uns bei der Polizei befinden, die in diesem Zusammenhang über Initiative und

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