Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Hedberg und nickte. »Ein Auftragsmord, den die Russen ihm geliefert haben. Denn er selbst hätte sich sicher nicht getraut, das zu übernehmen«, sagte Hedberg und schnaubte.
»Nein, verdammte Scheiße«, sagte Waltin nachdrücklich. »Ich hoffe, du entschuldigst, aber darauf muss ich einen trinken. Möchtest du auch was?« Das klingt nach einem Buch, das unbedingt veröffentlicht werden muss, dachte Waltin interessiert. Das Manuskript muss doch Millionen wert sein.
Hedberg trank fast nie. Das hatte Waltin schon zu Beginn ihrer Bekanntschaft zufrieden registriert, aber das, was der andere eben berichtet hatte, hatte offenbar seine Spuren hinterlassen.
»Einen kleinen Whisky«, sagte Hedberg. »Kann auch ein billiger sein.«
Ehe sie sich trennten, verabredeten sie sich für den kommenden Abend, um die letzten Details zu klären, ehe Hedberg wieder nach Hause fuhr.
Am späten Freitagnachmittag schaute Waltin in Bergs Büro vorbei, um einen weiteren dicken Stapel sorgfältig durcheinander geworfener Unterlagen abzuliefern, die seinem Chef das Wochenende ruinieren sollten, und vor Bergs Büro wäre er fast mit einem Kommissar der Leibwächter zusammengestoßen, der es gerade verließ. Er hatte rote Augen und war offenbar so wütend, dass er nichts mehr sah oder hörte.
»Hoppla«, sagte Waltin und lächelte Berg breit grinsend an. »Der sah ja nicht gerade glücklich aus. Hast du ihn gepiesackt?« Auch den, fügte er in Gedanken hinzu.
Berg wirkte auch nicht gerade obenauf. Er seufzte tief und schüttelte zerstreut den Kopf. Der macht das nicht mehr lange, dachte Waltin zufrieden. Das war jetzt wirklich eine Frage von Tagen.
»Nein«, sagte Berg. »Wenn es nur so einfach wäre. Er hatte nur seine üblichen Kopfschmerzen.«
»Ach so«, sagte Waltin und legte seine Unterlagen auf Bergs Schreibtisch. »Hab dir fürs Wochenende was zu lesen mitgebracht. Was hat er sich denn diesmal ausgedacht? Will er in einer Tonne die Niagarafälle runtergondeln?«
»Leider nicht«, seufzte Berg. »Nein, er will mit seiner Frau ins Kino gehen.«
»Hier in der Stadt?«, fragte Waltin mit echter Überraschung. An einem Freitagabend, nachdem der Lohn ausgezahlt worden ist und auf jedes Dutzend dreizehn Besoffene kommen und ohne Bewachung? Der Mann muss ja eine gewaltige Todessehnsucht haben, dachte Waltin. Wenn er sich überlegte, seit wie vielen Jahren sie nun schon das fehlende Sicherheitsbewusstsein des Ministerpräsidenten beklagten, dann war es ein Wunder, dass noch niemand die Gelegenheit genutzt hatte. Das kommt vom Fernsehen, dachte Waltin. Die Leute sitzen einfach vor der Glotze, statt aus ihrem Leben etwas Sinnvolles zu machen.
Berg seufzte ein weiteres Mal, dann sagte er etwas, was er eigentlich gar nicht sagen durfte, auch nicht zu Waltin, der doch immerhin Leitender Polizeidirektor bei der Sicherheitspolizei war und unter Schweigepflicht stand und kreuz und quer mit Maulkörben versehen war.
»Er hat vor zwei Stunden angerufen und die Bewachung abbestellt. Er und seine Frau wollen ins Kino gehen und vorher zusammen zu Hause essen.«
»Bestimmt der neue Film mit Clint Eastwood«, sagte Waltin und kicherte entzückt.
»Keine Ahnung«, sagte Berg gleichgültig, denn er selbst ging nie ins Kino. »Das hat er nicht gesagt, ich glaube, er wusste es noch nicht.« Nicht einmal das, dachte er resigniert.
)a, ja, dachte Waltin, als er Berg verließ. Man kann nicht alles haben, aber er empfand dieselbe prickelnde Erwartung wie damals, als er gesehen hatte, wie sein Mütterchen mit ihren sinnlosen Stöcken auf dem U-Bahnsteig herumschwankte.
*
Höchste Zeit, nach Hause zu fahren, dachte Berg und betrachtete angeekelt die Unterlagen, die Waltin auf den Tisch gelegt hatte. Wenn das typisch für Waltins Ordnungssinn war, dann konnte der froh sein, dass er sich nicht auf dem freien Markt behaupten musste. Als die Buchhalter Berg Bericht erstattet hatten, waren sie fast weiß im Gesicht gewesen, und vor allem waren sie so erschüttert, weil sie glaubten, dass Waltin sich wirklich alle Mühe gegeben hatte. Aber eigentlich war das alles absolut uninteressant, im Lichte dessen betrachtet, was folgen sollte.
In den folgenden Jahren verbrachte Berg Hunderte von Stunden mit Gewissenserforschung. Ehrlich, aufrichtig und ohne sich zu schonen versuchte er, sich bis ins kleinste Detail daran zu erinnern, was er in jenen Tagen, die sein Leben verändern sollten, gesagt, getan und gedacht hatte. Natürlich erinnerte er sich an
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