Zwischen Himmel und Liebe
Opal«, sagte Geoffrey leise mit seiner heiseren Stimme.
»Gute Nacht, mein Geliebter.« Opal küsste ihn auf die Wange, und er schloss sacht die Augen. »Bis morgen.«
Zweiunddreißig
Jetzt waren meine Gedanken kristallklar, und ich wusste, was ich als Nächstes zu tun hatte. Ich musste das erledigen, wofür man mich hergeschickt hatte, ich musste dafür sorgen, dass Elizabeths Leben für sie so angenehm wie nur irgend möglich war. Aber jetzt hatte ich mich so mit ihr eingelassen, dass ich nicht nur beim Heilen alter, sondern auch neuer Wunden helfen musste, von denen ich Letztere in meiner Dummheit selbst verschuldet hatte. Ich war wütend auf mich, weil ich so einen Schlamassel angerichtet und das Wesentliche total aus den Augen verloren hatte. Meine Wut war stärker als mein Schmerz, und ich war froh darüber, denn um Elizabeth unterstützen zu können, musste ich meine eigenen Gefühle ignorieren und mich ganz auf das konzentrieren, was für sie das Beste war. Was ich, nebenbei bemerkt, von Anfang an hätte tun sollen. Aber das ist ja das Ding an einer Lektion – man lernt sie grade dann, wenn man gar nicht darauf gefasst ist und eigentlich keine Lust auf sie hat. Um meinen eigenen Schmerz konnte ich mich später noch lange genug kümmern.
Die ganze Nacht war ich herumgewandert und hatte über mein Leben im Allgemeinen und über die letzten Wochen im Besonderen nachgedacht. Dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich noch nie über
mein
Leben nachgedacht hatte. Für meine Ziele schien das nie eine Rolle zu spielen. Trotzdem muss ich im Nachhinein feststellen, dass ich es hätte tun sollen.
Am nächsten Morgen trudelte ich wieder in der Fuchsia Lane ein und setzte mich auf die Gartenmauer, auf der ich Luke vor über einem Monat kennen gelernt hatte. Die Fuchsientür lächelte mir immer noch zu, und ich erwiderte ihren Gruß ebenso freundlich. Wenigstens war sie nicht sauer auf mich – was man von Elizabeth sicher nicht erwarten konnte. Sie hasste es, wenn Leute zu spät zu einem geschäftlichen Meeting aufkreuzten, von privaten Verabredungen mal ganz zu schweigen. Ich hatte sie versetzt. Nicht absichtlich. Nicht aus Bosheit, sondern aus Liebe. Man stelle sich das vor – ich hatte jemanden aus Liebe verletzt! Ich hatte Elizabeth dazu gebracht, dass sie sich einsam, wütend und ungeliebt fühlte, weil ich fest daran glaubte, dass es das Beste für sie war. Lauter neue Regeln, die in mir große Zweifel an meinen Fähigkeiten als bester Freund erweckten. Sie überstiegen meinen Horizont, und ich fühlte mich noch total unbehaglich mit ihnen. Wie sollte ich Elizabeth etwas über Hoffnung, Glück, Lachen und Liebe beibringen, wenn ich nicht wusste, ob ich an solche Dinge überhaupt noch glaubte? Oh, ich wusste, dass sie möglich waren, aber mit der Möglichkeit kommt auch die Unmöglichkeit. Ein neues Wort in meinem Wortschatz.
Um sechs Uhr an diesem Morgen öffnete sich die Fuchsientür, und ich stand auf, als hätte der Lehrer das Klassenzimmer betreten. Elizabeth kam heraus, machte die Tür hinter sich zu, schloss ab und ging die kopfsteingepflasterte Auffahrt hinunter. Sie trug wieder ihren schokoladenbraunen Jogginganzug, das einzige nicht schicke Kleidungsstück in ihrem Schrank. Ihre Haare hatte sie ziemlich unordentlich zurückgebunden, sie war ungeschminkt und so schön wie nie zuvor. Eine Faust griff um mein Herz und drückte es zusammen. Das tat ganz schön weh.
Sie blickte auf, sah mich und zuckte unwillkürlich zurück. Auf ihrem Gesicht breitete sich nicht wie sonst ein Lächeln aus. Die Faust um mein Herz drückte noch fester zu. Aber wenigstens sah sie mich, das war die Hauptsache. Man sollte es nie für selbstverständlich nehmen, wenn Leute einem in die Augen schauen, denn das ist ein großes Glück. Und nicht nur ein Glück, es ist unglaublich wichtig, zur Kenntnis genommen zu werden. Sogar wenn es mit einem wütenden Funkeln geschieht. Wenn jemand einfach durch einen hindurchguckt, dann muss man anfangen, sich Sorgen zu machen. Meistens ignorierte Elizabeth ihre Probleme, statt ihnen in die Augen zu blicken. Aber ich war für sie offenbar ein Problem, das sich zu lösen lohnte.
Sie ging auf mich zu, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf hoch erhoben, müde, aber entschlossen.
»Alles in Ordnung mit dir, Ivan?«
Ihre Frage verblüffte mich. Ich hatte erwartet, sie wäre wütend, sie würde mich anschreien und meine Seite der Geschichte nicht anhören und auch nicht glauben
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