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Zwischen Leidenschaft und Liebe

Titel: Zwischen Leidenschaft und Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Kapitel
    Claire blickte auf die Uhr, die sie an ihrem Busen festgesteckt hatte, und stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. Sie hatte es doch wieder getan und zum zweitenmal in vier Tagen den Lunch versäumt! Es war zwar erst zehn Minuten nach eins; aber sie wußte aus Erfahrung, daß man ihr nicht gestatten würde, sich an den Tisch zu setzen, nachdem der Herzog schon seinen Platz eingenommen hatte. Sie hatte versucht, mit Harry darüber zu reden und ihn zu fragen, warum seine Mutter all diese Vorschriften erlassen hatte, obwohl er doch die eigentlich wichtige Person in der Familie war. Aber Harry hatte nur erwidert: »So ist es eben. Und so war es schon immer.«
    Nun wußte sie, daß sie sich für zwei Möglichkeiten entscheiden konnte - entweder hungrig auf ihr Zimmer zu gehen oder ihre jüngere Schwester aufzusuchen und ihr Geld zu geben, damit sie ihr ein Sandwich besorgte.
    Aber Claire wollte weder das eine noch das andere. Sie mußte sich dazu erziehen, auf den Lunch zu verzichten und notfalls auch auf den Tee, um mehr Zeit für das zu gewinnen, was sie tun wollte.
    Freilich wäre es hilfreich gewesen, wenn sie eine Vorstellung davon gehabt hätte, was sie überhaupt unternehmen sollte. Sie hatte in den vergangenen drei Tagen das Haupthaus erforscht, Gemälde und Möbel betrachtet und im Geist überschlagen, wieviel es kosten würde, die notwendigen Reparaturen ausführen zu lassen. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, in den Gärten umherzuwandern. Sie hätte so leidenschaftlich gern die Bibliothek besichtigt und war eines späten Abends auf Zehenspitzen nach unten gegangen, in der Absicht, sich dort einzuschleichen. Zu ihrem Schrecken hatte sie aber selbst zu dieser späten Stunde dort noch einen alten Mann vorgefunden. Sie hatte einen kleinen Schrei ausgestoßen und war über die Treppe in den ersten Stock geflüchtet.
    Hungrig von ihrem ausgedehnten Spaziergang und in dem Bewußtsein, daß es Stunden dauern würde, ehe die nächste Mahlzeit stattfand, wobei ihr auch die mißbilligenden Blicke der anderen Frauen vor Augen standen, wenn sie beim Tee über die belegten Brötchen und Plätzchen herfiel, trat sie mit dem Fuß heftig gegen die Hausmauer. Als das nichts half, setzte sie sich im Garten auf eine kleine Bank, legte das Gesicht in die Hände und war wohl zum tausendsten Male, seit sie hierhergekommen war, den Tränen nahe.
    Aber während sie so mit gesenktem Kopf auf der Bank saß, wurde sie auf etwas aufmerksam, das ihr wie eine Lücke in der Gartenhecke erschien. Ihre Neugierde war schon immer stärker gewesen als ihr Hunger, und so stand sie auf, um diese Lücke näher zu untersuchen. Da führte doch tatsächlich ein Pfad durch die Hecke, die den Westflügel umgab! Sie bahnte sich einen Weg durch die Sträucher, und nach ein paar Schritten erreichte sie eine Tür, die sich hinter den Büschen verbarg. Sie hatte schon jedes Tor ausprobiert - sowohl innerhalb wie außerhalb der Mauern - und sie alle verschlossen gefunden; doch sie wußte, ehe sie die Klinke niederdrückte, daß diese Tür nicht verschlossen sein würde. Sie war nicht nur unverschlossen, sondern darüber hinaus an den Angeln und Zapfen frisch geölt, so daß sie sich mühelos öffnen ließ.
    Sie trat in das dunkle Innere des Westflügels und fühlte sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Vor ihr ragte ein hoher, über zwei Stockwerke reichender, aus Feldstein errichteter Raum auf, der, wie sie wußte, ohne daß ihr das erst jemand zu sagen brauchte, vormals die Halle einer Burg gewesen sein mußte. An den Wänden hingen verblichene Gobelins, und am entfernten Ende befand sich eine Feuerstätte, auf der man eine ganze Rinderherde hätte braten können. Zerbrochene Stühle, Tische und Bänke waren über den Raum verteilt, und in einer Ecke lag ein Haufen Eisen - offenbar Waffen und Rüstungen.
    Als sich ihre Augen dem Dämmerlicht angepaßt hatten, wanderte sie in diesem Raum umher, der so kalt war, wie das nur Feldsteine sein konnten, die man seit einem Jahrhundert oder länger nicht mehr beheizt hatte - und betrachtete die hier aufbewahrten Gegenstände. Sie geriet dabei in ein Netz von Spinnweben, was sie aber nicht störte, weil ihr Interesse an dem, was sie hier zu sehen bekam, viel größer war als ihre Angst vor Spinnen.
    Von diesem Saal gingen zwei Wendeltreppen ab, und sie benützte eine davon, um in die höheren Stockwerke zu gelangen. Die Stufen waren abgewetzt von den Füßen, die hier wohl unzählige Male treppab,

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