Zwischen Leidenschaft und Liebe
hatte, und wich ein wenig zurück.
Claire klopfte sich den Staub aus ihren Kleidern. »Vielen Dank. Ich hatte schon Angst, daß mich hier niemand entdecken würde und daß ich . ..«
Sie stockte, weil sie zu einem leeren Zimmer sprach. Er befand sich nicht mehr im Raum. Sie ging zur Tür und blickte die Wendeltreppe hinunter, doch da war niemand. Sie blickte in die andere Richtung und nahm gerade noch eine Bewegung wahr, als er hinter der Spindel der Wendeltreppe verschwand.
Gut, dachte sie. Sie wollte nicht in seiner Nähe sein. Sein Zynismus und seine Einstellung zum Leben stießen sie ab.
Doch dann erinnerte sie sich wieder daran, wie sie mit ihm geredet hatte. Es wäre schön, dachte sie, wenn sie mit jemandem reden könnte. Tatsächlich wäre es geradezu himmlisch.
Sie straffte ihre Schultern, raffte ein wenig ihre Röcke und folgte ihm die Wendeltreppe hinauf. Sie betrat einen Raum, der zwar kleiner war als jener darunter, aber immer noch groß genug, um sich darin wohlfühlen zu können, und sie konnte sehen, daß hier die besten Möbelstücke aus der ehemaligen Burg zusammengetragen worden waren. Ein noch heiler Gobelin hing an der einen Längswand, und an der anderen stand eine Chaiselongue, die mit gelber Seide überzogen war. Mehrere große Stühle mit Schnitzereien an den Lehnen, die bärtige Männer darstellten, waren im Raum verstreut. Und in der Mitte des Raumes standen - wie seltsam - elf kleine Tische, jeder mit einem Sessel davor und jeder mit Stößen von Papier, Notizbüchern, Federhaltern und Tintenfässern bedeckt.
Claire vergaß, wie kalt es hier war und wie sehr sie den Mann verabscheute, der diesen Raum bewohnte, und ging auf einen der Tische zu.
»Lassen Sie das!« befahl Trevelyan hinter ihr.
Schuldbewußt drehte sie sich zu ihm um. Er stand unter der Tür, eine Tasse nebst Untertasse in den Händen, und nippte an einer dampfenden Flüssigkeit. Der Hunger regte sich wieder in Claire, und auch das Frösteln stellte sich wieder ein. In einer Wand befand sich ein Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Sie verließ den Tisch und stellte sich mit dem Rücken zum Feuer vor den Kamin. Vielleicht würde er ihr etwas zu essen anbieten. Sie bemühte sich, ein freundlicheres Gesicht zu machen, nahm das Kinn ein wenig zurück und lächelte.
Er zog die Brauen in die Höhe, als wüßte er, was sie in diesem Moment dachte, ging zu einem Tisch, setzte sich und begann zu schreiben. »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen eine Einladung geschickt zu haben. Sie müssen nicht hierbleiben, dürfen gern wieder gehen.«
Claire bewegte sich nicht von der Stelle. Trotz ihrer ehrlichen Antipathie gegen diesen Mann und seines feindseligen Gehabes fühlte sie sich seltsamerweise hier nicht halb so unwillkommen wie bei den Männern im Haupthaus, als sie versucht hatte, die Bibliothek zu betreten.
»Wohnen Sie hier?«
»Ich habe keine Zeit, mit kleinen Mädchen zu plaudern. Ich muß arbeiten.«
»Oh? Woran arbeiten Sie denn?«
»An etwas, das Sie doch nicht verstehen würden«, schnaubte er.
Sie verharrte dort, wo sie war, wärmte sich die Hände am Feuer und hatte ein fast unwiderstehliches Verlangen, nachzusehen, was auf den Tischen lag. Allein das Sortiment der Tische war schon eigenartig genug: zwei davon stammten aus der Zeit Jakobs des Ersten, zwei gehörten der Queen-Anne-Stilepoche an, einer sah aus, als hätte man ihn aus dem Goldenen Salon gestohlen und zwei schienen eine ganze Weile im Regen gestanden zu haben.
Da der Mann an einem etliche Meter vom Kamin entfernten Tisch saß und ihr den Rücken zukehrte, beugte sie sich so weit vor, wie sie konnte, ohne einen Schritt machen zu müssen, den er vielleicht hören mochte, und versuchte die Papiere auf dem ihr am nächsten stehenden Tisch zu lesen.
In diesem Moment drehte er sich um und starrte sie an. Claire richtete sich rasch auf und tat so, als hätte sie nicht spionieren wollen. Sie versuchte ihre Neugierde mit einem kleinen Lächeln zu vertuschen, aber das Blut, das ihr in die Wangen stieg, verriet sie.
Er nahm seine Teetasse hoch, trank einen Schluck und stellte sie wieder auf die Untertasse zurück. »Warum sind Sie nicht beim Essen? Wird denn jetzt nicht drüben eine Mahlzeit serviert?«
»Ich habe wieder mal den Lunch versäumt.«
»Wieder mal? Ist Ihnen das schon öfter passiert?«
»Leider ja. Ich bin offenbar nicht in der Lage, meine Spaziergänge so einzuteilen, daß ich rechtzeitig zurück bin, um mich für den Lunch
Weitere Kostenlose Bücher