Zwischen Macht und Verlangen
„Geschlossen“ um, da öffnete sich die Tür und Alan trat ein. Shelby hatte noch nie an sich selbst erlebt, was man totale Benommenheit, Leerphase oder Blackout nennen könnte. Jetzt war es so weit.
Sie kam erst wieder zu sich, als Alan ihr Kinn hochhob und sie küsste, nachdem er bereits seinen nassen Mantel aufgehängt hatte. „Ich bringe dir ein Geschenk“, sagte er.
„Nein.“ Die Angst in Shelbys Stimme war nicht zu überhören. Sie schob Alans Hand beiseite und trat rasch einen Schritt zurück. „Geh wieder.“
Alan zog eine Schachtel aus der Tasche und stellte sie vor Shelby hin.
„Ich werde es nicht öffnen.“ Shelby wich Alans Augen geflissentlich aus, einen zweiten Schock wollte sie keinesfalls riskieren. „Außerdem ist schon Feierabend.“
Doch da hatte Alan schon den Deckel zur Seite gelegt und hob aus dem rosa Wattebett ein geschliffenes buntes Glas in Form eines Regenbogens – einen allerliebsten Glücksbringer.
Shelby griff impulsiv danach, aber sie besann sich noch rechtzeitig. „Zum Teufel, Alan!“ Woher wusste er, wie bitter nötig sie gerade heute einen Glücksbringer brauchte?
„Hab’ ich dir nicht ausdrücklich gesagt, du sollst mir nichts mehr schicken?“
„Ich habe es nicht geschickt, ich habe es selbst gebracht.“ Alan sprach nachsichtig, wie mit einem ungezogenen Kind. Dabei ließ er den bunten Glasstein in Shelbys Hand gleiten.
„Ich will es nicht haben!“ rief Shelby, aber ihre Finger hatten sich bereits fest um den Glücksbringer geschlossen. „Wenn du nicht ein elefantenhäutiger, dickköpfiger Mac-Gregor wärst, dann ließest du mich endlich in Ruhe!“
„Glücklicherweise haben wir immerhin einiges gemeinsam.“ Alan hatte Shelbys Hand ergriffen und hielt sie fest. „Dein Puls ist beschleunigt, Shelby.“
„Ich möchte zuschließen, Alan.“ Ihre Stimme klang unsicher.
„Gute Idee!“ Er trat zur Tür, drehte das Schild auf „Geschlossen“ um und schloss ab.
„Was tust du da?“ begann sie wütend. „Du kannst nicht einfach hier …“ Sie brach ab, als Alan näher kam, und wich unter dem entschlossenen Ausdruck in seinem Gesicht bis zur Wand zurück. „Das ist mein Laden.“ Alan stand direkt vor ihr.
„… und wir gehen zusammen zum Essen“, vollendete Alan den Satz.
„Ich gehe nirgends hin.“
„Aber du gehst“, verbesserte er.
Shelby starrte Alan verwirrt und verärgert an. Sie wusste nicht, was sie von seinem unvermuteten Auftauchen halten sollte. Sein Ton war weder scharf noch ungeduldig, in seinen Augen las sie keinen Ärger.
Ein wütender Alan wäre ihr viel lieber gewesen. Seine ruhige Zuversicht wirkte irgendwie entwaffnend. Sie nahm sich fest vor, genauso beherrscht zu bleiben. „Alan“, begann sie, „du kannst mir nicht vorschreiben, was ich tun muss. Immerhin …“
„Ich verfüge einfach über dich“, konterte er lässig, „denn ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass man dich in deinem Leben viel zu oft nach deiner Meinung gefragt hat, anstatt dir einfach Order zu geben.“
„Deine Rückschlüsse interessieren mich nicht im Geringsten“, gab Shelby zurück. „Wer zum Teufel gibt dir das Recht dazu?“
Als Antwort zog Alan sie näher zu sich heran.
„Ich verlasse das Haus auf keinen Fall, wenigstens nicht mit dir“, fuhr sie wütend fort. „Außerdem habe ich feste Pläne. Ich reise übers Wochenende ans Meer.“
„Wo ist dein Mantel?“
„Alan, ich sagte …“
Er entdeckte Shelbys Jacke am Kleiderständer hinter dem Ladentisch. Er nahm sie herunter und gab sie Shelby. „Und deine Handtasche?“
„Bekommst du das nicht in deinen Kopf, dass ich nicht mitgehe!“
Ohne auf Shelbys Protest zu hören, suchte er ihre Tasche und fand sie unter dem Ladentisch. Die Schlüssel, die dane ben lagen, steckte er ein. Dann schob und zog er Shelby zum Hinterausgang.
„Verdammt, Alan, ich sagte, ich gehe nicht!“ Shelby fand sich plötzlich auf der Straße im Regen wieder. „Ich will mit dir nirgendwohin gehen.“
„Das tut mir Leid.“ Alan schloss die Tür ab und verstaute die Schlüssel in seiner Manteltasche.
Shelby wischte sich die nassen Haare aus der Stirn und erklärte dickköpfig: „Du kannst mich nicht zwingen.“
Er hob die Augenbrauen und musterte Shelby mit einem langen, abschätzenden Blick. Sie war zornig auf eine ihr eigene Weise schön. Und er bemerkte mit einiger Befriedigung, dass sie ein klein wenig unsicher war. Es wurde höchste Zeit! „Vielleicht sollten wir von jetzt an
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