Zwischen Olivenhainen (German Edition)
„Er wollte nichts mit uns zu tun haben und ist in die USA gegangen. Den Rest versteht nur er, glaub mir.“ Na, wenigstens etwas. Scheinbar war er zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht besonders nett von ihm war, auf keine ihrer Fragen zu antworten. Jedenfalls hoffte sie das.
„Und deswegen kannst du ihn nicht leiden?“, fragte sie leise. Er schüttelte den Kopf.
„Er gibt mir die Schuld am Tod unseres Vaters“, sagte er kühl. Dann sagte er eine ganze Weile lang nichts mehr.
„Nicht so nett“, murmelte Leslie nur und schaute aus dem Fenster.
Anne war nicht da, als Leslie die Haustür aufschloss. Raffaello hatte sich den Spaß nicht nehmen lassen und war mit ihr in den Flur gekommen. Jetzt wirkte er beinahe enttäuscht, als Leslie ihm den Zettel, den Anne ihr geschrieben hatte, unter die Nase hielt:
„Bin bei Antonio.“
Mehr stand da nicht. Kein: „Du weißt ja, wie du mich erreichen kannst“ oder „HDUDL“ oder „Bis nachher, Leslie. Picknick am Strand?“ Enttäuscht ließ sie den Zettel in den Mülleimer unter der Spüle segeln. Na, dann eben nicht. Vielleicht war Anne einfach nur schlecht gelaunt. Wie so oft in letzter Zeit.
„Schätze, sie sucht sich Verbündete gegen mich“, knurrte Raffaello neben Leslie. Sie drehte sich zu ihm um.
„Sie ist eifersüchtig“, sagte sie. „Das ist alles.“
„Hm“, machte er und hob eine Augenbraue. Er verschränkte die Arme und ging in der Küche auf und ab. Eine ganze Weile lang sagte er kein Wort. Dann stand er plötzlich vor ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.
„Was hältst du davon, wenn ich bei dir bleibe?“, fragte er leise. „Mein Bruder kann warten.“ Er grinste. Aber Leslie schob ihn von sich fort.
„Keine gute Idee“, murmelte sie. Fast hatte sie Angst davor, mit ihm alleine in einem Raum zu sein. Auf der Straße und in seinem Auto – das war etwas vollkommen anderes.
„Warum?“, fragte er.
„Weiß nicht …“ Sie senkte den Blick.
„Ich könnte dir heute Abend etwas kochen“, schlug er vor.
„Du kochst? Wie Mario?“ Aber er lachte nur.
„Nein“, sagte er, „ich bin wirklich kein Hobbykoch. Aber irgendwie muss ich mich ja am Leben halten. Ich wohne ja schließlich einsam und zurückgezogen.“ Er grinste. Leslie konnte sich nicht vorstellen, dass er als einsamer Einsiedler in einem Bauernhaus wohnte. Er nicht.
„Was kannst du denn kochen?“, fragte sie, nicht ganz abgeneigt von seinem Vorschlag.
„Spaghetti Bolognese, jede Sorte Nudeln, verschiedene Soßen und Pizza auftauen.“
„Ich dachte, du magst keine Tiefkühlpizza?“, entgegnete sie spitz. Er zuckte die Schultern.
„Ich kann mich ja schließlich nicht jeden Tag bei Mario zum Essen einladen, oder?“ Das stimmte auch wieder. Ohne zu fragen öffnete er den Kühlschrank. Und verzog das Gesicht.
„Sag mal – lebt ihr vegetarisch?“
„Äh, eigentlich nicht“, sagte sie und linste unter seinem Arm in den Kühlschrank. Er war fast leer. Nur Paprika, Salat, Eier, die Artischocke, die er ihr aufgeschwatzt hatte und eine Tafel Schokolade. Und eine halb leere Flasche Orangensaft. Sie dachte an den Tag, an dem sie ihn getroffen hatte – und da fielen ihr sieden heiß die CDs von Tiziano Ferro ein, die er ihr geliehen hatte. Sie hatte die Dateien mit Hilfe von Annes Laptop auf ihren iPod gespielt.
„Moment“, sagte sie, „bin gleich wieder da“, und huschte aus der Küche, um die CDs zu holen. Raffaello lehnte im Türrahmen zum Wohnzimmer, als sie wieder zurückkam und ihm seine CDs entgegen hielt.
„Oh“, machte er, „die hatte ich ganz vergessen. Wie hat’s dir gefallen?“
„Gut“, sagte Leslie. Sie hatte sich erst eine angehört und danach sofort alle anderen, obwohl sie kein Wort verstanden hatte. Und ab da hatte sie jeden Abend vor dem Einschlafen an die tausendmal ‚Sere Nere‘ gehört.
„Die … Zeitungsartikel, die deine Freundin in der Schublade in der Küche vergraben hat, hat sie dir nicht zufällig gezeigt?“, fragte Raffaello beiläufig.
„Welche Zeitungsartikel?“
„Nicht so wichtig“, behauptete er. „Würdest du ohnehin nicht verstehen. Sind auf Italienisch.“ Jetzt hatte er sie neugierig gemacht. Offenbar war er das Risiko eingegangen, dass sie erneut Fragen stellte. Also konnte es sich nur um irgendwelche mafiösen Angelegenheiten handeln. Sie lief in die Küche und wühlte in einer der Schubladen, bis sie einen Packen Zeitung daraus hervorgezogen hatte. Das Foto, das auf der Titelseite
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