Zwischen uns das Meer (German Edition)
beide«, verbesserte er sich. »Aber überlegt mal, wie schlecht es euch geht, wenn ihr euch verletzt habt. Und sie hat ihr Bein verloren. Es wird eine Weile dauern, bis sich alles normalisiert hat. Ich hätte euch besser darauf vorbereiten sollen. Ich hätte mich besser darauf vorbereiten sollen, verdammt noch mal.«
»Du hast ein schlimmes Wort gesagt«, rügte Lulu.
»Danke, Miss Wortpolizei.«
»Und wenn es ihr nie wieder bessergeht?«, fragte Betsy.
»Doch, das wird es«, versprach er. Dann gab er beiden einen Kuss auf die Wange. »So, jetzt bestell mal Pizza, Betsy.«
»Macht gar keinen Unterschied, ob sie weg oder da ist«, murmelte Betsy und ging zum Telefon.
Michael wandte sich zu seinem ehemaligen Arbeitszimmer. Er klopfte leise und wartete auf eine Antwort. Als nichts kam, öffnete er die Tür einen Spaltbreit.
Im Zimmer war es dunkel. Nur die Außenlampe vom Haus warf fahlgoldenes Dämmerlicht ins Zimmer. Jolenes Wangenknochen wirkten darin noch kantiger. Die Metallgriffe ihres Rollstuhls neben ihrem Bett glitzerten wie Quecksilber. Auf dem Nachttisch standen eine offene Flasche Wein und ein leeres Glas.
Mit gerunzelter Stirn trat er zu ihr ans Bett. Während ihrer gesamten Ehe hatte er sie nie mehr als ein paar Schlucke Wein trinken sehen. Er nahm die Flasche – sie war halb leer.
Am liebsten hätte er sie jetzt geweckt und mit ihr darüber gesprochen, was heute passiert war – warum sie Wein trank –, aber er wusste, wie kostbar Schlaf für sie war.
Würde sie überhaupt mit ihm reden? Schon vor ihrer Einberufung, selbst als ihre Ehe noch in Ordnung war, hatte Jolene nie über schlechte Tage, Fehlschläge oder Enttäuschungen geredet. Sie behielt ihre Gefühle für sich – außer die Liebe, die sie im Überfluss verteilte.
Das war auch ein Grund, warum ihre Ehe gescheitert war. Sie hatte ihn nie gebraucht.
Er schloss die Tür und ließ sie allein.
Den Abend verbrachte er mit seinen Töchtern: Sie aßen, spielten und sahen sich dann im Fernsehen eine Dokumentation über Delphine an. Aber als er sie ins Bett brachte, waren sie immer noch verletzt, wütend und verwirrt.
Danach zog er sich etwas Bequemes an und nutzte die Stille im Haus, um noch etwas an seinem Eröffnungsplädoyer im Keller-Fall zu arbeiten. Der Prozess sollte in Kürze beginnen, und er wusste immer noch nicht genau, wie er den Geschworenen die posttraumatische Belastungsstörung so verständlich machen sollte, dass sie Keith Kellers Verhalten nachvollziehen konnten. Er machte sich gerade eine Notiz dazu, als ein markerschütternder Schrei durchs Haus hallte.
Er warf die Unterlagen beiseite und stürzte aus dem Zimmer. Da ertönte ein neuer, immer lauter werdender Schrei von unten.
Er rannte die Treppe hinunter und stieß die Tür zum ehemaligen Arbeitszimmer auf.
Jolene schrie im Schlaf und hatte sich so wild im Bett hin und her gewälzt, dass sie vollkommen von Laken und Decke eingewickelt war. Die Kissen lagen verstreut auf dem Boden.
»Mayday! Tami – ich kann dich nicht hochheben. Verdammt!«, schrie sie.
»Jolene!«
»Wir brauchen Deckung!«, brüllte sie und kroch über das Bett zum Nachttisch.
»Jo!« Er packte sie an der Hand, doch da stieß sie ihm mit dem Ellbogen heftig in den Magen. Ihm blieb die Luft weg, und einen Moment lang ließ er sie los. Sie robbte weiter zum Rand des Betts.
Er warf sich auf sie, damit sie nicht vom Bett fiel, und schlang seine Arme um sie. Daraufhin boxte sie ihn so heftig aufs Auge, dass er das Gleichgewicht verlor und sie beide mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden fielen.
Jolene wachte mit einem Aufschrei auf und sah sich verwirrt um. »Michael?«
An der Tür erschienen Lulu und Betsy mit entsetzten Mienen.
» WAS IST LOS MIT IHR ?«, kreischte Betsy.
Jolene zitterte so stark, dass er es spürte.
»Eure Mom hatte nur einen Alptraum, Mädchen. Kein Grund zur Sorge.«
»Einen Alptraum?«, fragte Betsy kopfschüttelnd. »Hältst du uns für blöd?«
»Rauf mit euch«, erwiderte Michael und half Jolene auf. Sie schnaufte wie eine Dampflok neben ihm. »Ich kümmere mich um sie.«
»Darf ich bei dir schlafen?«, fragte Lulu ihre Schwester. Ihre Stimme bebte.
»Klar.« Betsy nahm sie bei der Hand und verschwand mit ihr.
Jolene kletterte ins Bett und ließ sich so hart gegen das Kopfende fallen, dass es gegen die Wand schlug. »Tut mir leid«, sagte sie zittrig.
Michael setzte sich neben sie.
»Ich … hab … Probleme, Michael.« Sie schluckte hart.
Für Jolene war
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