Zwischen uns die halbe Welt: Sommerflirt 2 (German Edition)
»Übrigens, das Abendessen ist fertig«, ruft er noch immer lachend.
Als wir ein paar Minuten später ins Esszimmer kommen, verpasst Jessica ihrem Bruder einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf, ehe sie sich setzt.
»Au!«
»Wenn du das nächste Mal nicht anklopfst, mache ich ein Foto von dir unter der Dusche und maile es der ganzen Schule.«
»Schluss jetzt«, sagt Mr Katz, setzt seine Kippa auf und bedeutet Ben mit einer Geste, seinem Beispiel zu folgen.
Jess und ich gehen in die Küche und helfen, kleine Schüsseln mit Matzeknödelsuppe aufzutragen.
Mrs Katz stellt zwei Sabbat-Kerzenleuchter auf und nimmt Streichhölzer vom Büffet. »Amy, hast du Lust, den Segen zu sprechen?«
Ich? Sonst schaue ich immer zu, wie Jessica oder ihre Mom die Kerzen anzünden und das hebräische Gebet sprechen. »Wirklich?«
»Aber ja.«
Im Zimmer ist es ganz still, als ich mich räuspere. Ich reiße das Streichholz an und zünde beide Kerzen an. Danach bedecke ich die Augen mit den Handflächen und sage: »Baruch ata Adonai Eloheinu, melech ha’olam, asher kid’shanu b’mitzvotav v ’tzivanu l’hadlik ner shel Shabbat. Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns mit seinen Geboten geheiligt und uns befohlen hat, das Sabbat-Licht anzuzünden.«
Ich stelle die Kerzen in die Ecke und setze mich.
»Hast du dir etwas gewünscht, Amy?«, fragt mich Mrs Katz.
»Etwas gewünscht?«
»Ja, beim Kerzenanzünden. Es ist bei uns Sitte, das Gebet zu sprechen und dann im Stillen einen Wunsch an Gott zu richten. Oder ihm zu danken … was immer man gerade auf dem Herzen hat.«
Ich stehe auf, gehe zurück zu den Kerzen, die einen warmen gelben Schein verbreiten, bedecke abermals meine Augen und überlege, was ich sagen soll.
»Bitte Gott, dass Bens Kieferorthopäde ihm aus Versehen den Mund zudrahtet«, sagt Jess.
»Bitte darum, dass Jess endlich Brüste wachsen«, fällt Ben ein.
Ich ignoriere die beiden und sage zu Gott: Bitte pass gut auf meine Safta in Israel auf. Sie hat Krebs und braucht deine Hilfe. Und vielen Dank, dass ich heute Abend nicht allein sein muss, sondern dass du mir diese Familie gegeben hast, mit der ich zusammen essen darf.
Ich blicke auf und erwarte, dass alle mich anstarren und fragen, was ich mir gewünscht habe. Aber so ist es nicht. Sie respektieren meinen persönlichen Sabbat-Wunsch und -Dank an Gott. Ich liebe Jessica und ihre Familie. Sogar Ben.
»Ich habe oben Amys Dinger gesehen«, sagt Ben und bewegt seine Augenbrauen mehrmals hintereinander auf und ab.
Okay: Ben vielleicht doch nicht.
Mrs Katz lässt die Hand auf den Tisch sausen. »Ich wünsche mehr Respekt am Sabbat!«
»Hört gut auf eure Mutter«, sagt Mr Katz, nimmt den silbernen Sabbat-Weinbecher und schenkt Rotwein ein, bis er fast überläuft. » Baruch ata Adonai Eloheinu, melech ha’olam, boray pri ha-gafen. Amen.«
Nachdem er einen Schluck aus dem Becher genommen hat, gibt er ihn weiter, damit jeder davon trinken kann. Ben macht eine Riesenshow daraus, doch dann muss er so sehr husten, dass sich der ganze Wein über die weiße Tischdecke verteilt.
Jess verdreht die Augen, nippt und reicht den Becher an mich weiter. Ich bin kein Weintrinker, aber dieser hier ist so süß, dass er mich an sirupartigen Kinderhustensaft erinnert.
Ben entfernt das bestickte Deckchen von der Challa , dem Sabbat-Brot, das sie in der koscheren Bäckerei weiter unten in der Straße immer kunstvoll zu Zöpfen flechten. » Baruch ata Adonai Eloheinu, melech ha’olam, ha-motze lechem min ha’aretz«, sagt er und produziert sich dann beim Singen: »Aaa, aaah, määäääääään.«
Jess und ich murmeln: »Amen.«
Ben reißt einen Brocken von der Challa ab und wirft jedem ein kleines Stück davon zu. Ich habe das dumpfe Gefühl, er hat auf meinen Ausschnitt gezielt, bin mir aber nicht sicher. Und als Jess an der Reihe ist, schmeißt er es ihr mit vollem Karacho drauf. Ich glaube, der Kleine sollte mal zur Therapie gehen – oder wahlweise weggesperrt werden, bis er achtzehn ist.
»Wie läuft’s im Konversionsunterricht, Amy?«, fragt mich Mr Katz, während er einen Löffel Matzeknödelsuppe probiert.
»Gut. Rabbi Glassman ist unheimlich nett.«
Mrs Katz legt ihre Hand auf die ihres Mannes. »Er hat uns getraut. Vor zweiundzwanzig Jahren.«
Ich frage mich, ob Rabbi Glassmann eines Tages auch meine Trauung vollziehen wird. Obwohl er nicht orthodox ist, nimmt er keine Eheschließungen zwischen Juden und Nicht-Juden vor. In der
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