Zwischen uns die Zeit (German Edition)
der vor meiner Geburt liegt, funktioniert es normalerweise nicht, egal wie sehr ich mich auf das Datum konzentriere. Jedenfalls gab es da so ein Konzert, auf das Brooke unbedingt wollte, obwohl es ein Jahr vor meiner Geburt stattgefunden hat. Sie hat mir so lange damit in den Ohren gelegen, bis ich mich schließlich darauf eingelassen habe, es zusammen mit ihr zu versuchen.« Er lächelt wehmütig. » Mein liebes Schwesterherz kann eine echte Nervensäge sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Ich war davon überzeugt, dass es sowieso nicht klappen würde, also dachte ich, was soll’s. Wir haben es wie immer gemacht– uns an den Händen gehalten und die Augen geschlossen, während ich mich auf den Ort und das Datum konzentrierte und…«
» Es hat funktioniert?«
» Ja, hat es. Aber nur für ein paar Minuten. Im einen Moment war ich dort und im nächsten wurde ich wieder nach San Francisco zurückkatapultiert.«
» Wie zurückkatapultiert?«
Er zuckt mit den Achseln, als wäre das eine der kleinen Unannehmlichkeiten, die er als Zeitreisender eben akzeptieren muss. » Im Normalfall habe ich absolute Kontrolle darüber, wo ich lande und wann ich komme und gehe, aber wenn ich die temporären Grenzen überschreite, die mir gesetzt sind, scheint die Zeit die Ordnung wiederherstellen zu wollen und schickt mich dahin zurück, wo ich eigentlich hingehöre.«
» Okay, aber warum bist du zurückgeschickt worden und Brooke nicht?«
» Ich konnte nicht bleiben, weil ich im März 1994 noch nicht existiere. Aber Brooke gab es damals schon. Sie ist 1993 zur Welt gekommen.«
» Deswegen hat es überhaupt erst geklappt«, sage ich nachdenklich, » dass du zu einem Datum vor deiner Geburt reisen konntest, meine ich. Weil sie dabei war.«
Er nickt traurig
» Wo und wann hat das Konzert denn stattgefunden?«
» Am zehnten März, 1994. Im Chicago Stadium. Das Pearl-Jam-Konzert, von dem du das Ticket an deiner Pinnwand hängen hast.«
» Das gibt’s doch nicht!«, rufe ich und im selben Moment wird mir klar, dass er damals, als er das Ticket an meiner Pinnwand entdeckte, genau das Gleiche gesagt hat. » Dann warst du letztes Jahr auf demselben Konzert wie Emma und ich!«
» Ihr wart mit Sicherheit um einiges länger dort als ich. Ich hatte noch nicht mal genügend Zeit, mir ein T-Shirt zu kaufen.«
Statt über den Witz zu lachen, schüttle ich ungläubig den Kopf. » Und wie willst du Brooke zurückholen?«
» Ich wünschte, ich wüsste es. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, sie würde vielleicht auf die Idee kommen, zu unserer Großmutter zu fahren und dort ein Jahr lang zu wohnen, bis ich sie am sechsten März 1995– meinem Geburtstag– holen komme, aber diese Möglichkeit ist ihr anscheinend nicht eingefallen. Jedenfalls war sie am sechsten März nicht da. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten. Entweder kommt sie noch auf den Gedanken, dass ich hier auf sie warten könnte, und steht irgendwann bei Maggie vor der Tür oder sie wird eines Tages genau wie ich in das Jahr zurückgeschleudert, in das sie eigentlich gehört.«
» Oh Gott, sie muss total in Panik gewesen sein, als du plötzlich verschwunden warst.« Ich stelle mir vor, wie sie seit einem Jahr einsam durch die Straßen Chicagos irrt und völlig verloren ist.
» Anfangs war es mit Sicherheit ein Schock für sie, aber Brooke ist ziemlich zäh, und so wie ich sie kenne, hat sie bestimmt einen Weg gefunden, erst mal mit der Situation klarzukommen. Zum Glück hatte sie mehr als genug Geld bei sich, um sich über Wasser zu halten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihr gut geht. Aber meine Mutter war völlig außer sich und wahnsinnig wütend auf mich, als ich allein zurückgekommen bin und ihr und Dad sagen musste, dass es eine Weile dauern könnte, bis Brooke wieder da ist. Natürlich fühlt sie sich seitdem auch in ihrer Einschätzung bestätigt, dass meine ›Gabe‹ etwas Gefährliches ist, mit dem ich nicht richtig umgehen kann.« Er seufzt. » Sie hat darauf bestanden, dass ich herkomme und solange bleibe, bis Brooke wieder auftaucht. Wir haben uns eine Geschichte ausgedacht, die wir in der Schule und bei den Nachbarn erzählt haben, um meine Abwesenheit zu erklären, und dann bin ich mit meinem Vater hergekommen, damit er mich an der Schule anmelden konnte. Meinen Eltern war wichtig, dass nicht auch noch meine Ausbildung unter der Sache leidet, deswegen haben sie entschieden, dass ich auf die Westlake Academy gehen soll,
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