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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Straeter
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Gatter
klettern. Die beiden Ankömmlinge murren, so haben sie sich den Empfang auf
Dingle nicht vorgestellt. Dann erreichen wir den kleinen weißen, leicht angerosteten
Leuchtturm an der Dingle Bay. Das dazugehörige Haus wird gerade renoviert, es
ist weiß, die Giebel und Fensterumrahmungen sind rot angestrichen. Auch die
weiße Mauer, die das Ganze im Viereck umgibt, hat rote Steinsegemente an den
Ecken. Vom Geländer des Umlaufs am Leuchtturm ist die rote Farbe abgeblättert.
    1896 gebaut,
wurde der Turm 1986 automatisiert, dann zu einem Leuchtzeichen degradiert,
daher gibt es keine Eintragung mehr in den normalen Landkarten. Inzwischen
scheint er aufgegeben worden zu sein, kein Strahl huscht mehr in den Nächten
über das Wasser der Bucht. Ein Wahrzeichen der Vergangenheit, ähnlich dem
hölzernen, unbeleuchteten Zeichen — der ‘Hölzernen Hand’ — auf dem
gegenüberliegenden Ballymacadoyle-Hügel.
    Als Motiv
für die Malerin taugt er noch.
     
     
    Dienstag, 15.6.
    ‘The downpour of the century.’
    So lautet
der Titel der ‘Irish Times’ von heute. ‘Das Unwetter des Jahrhunderts.’ Das
Tief aus der Biscaya, das schon England heimgesucht hat, ist links abgebogen
nach Irland. Wahrscheinlich hat es die für Touristen bestimmten
Verkehrsschilder mit dem Hinweis ‘Keep left!’ befolgt. Es ist also brav nach
links, nach Westen, abgebogen und hat sich jetzt mit einem anderen Tief
getroffen, das strikt von Westen her, vom Atlantik, auf Irland zuhält. Die
beiden ‘downpours’ unterhalten sich miteinander, und wie bei Leuten, die sich
auf der Straße treffen und sich etwas zu erzählen haben: sie ziehen nicht
weiter. Sie bleiben stehen, bleiben hängen über good old Ireland, trinken
wahrscheinlich ein Guinness zusammen. Und dann singen sie:
    Kathleen ni
Houlihan, du Meermaid, du Wasserjungfrau, sei gegrüßt, fáilte, willkommen in
Hibernia, in Eire, in Poblacht na h Eirann, deinem Irland.
     
    Westmeath: Constant rain, Dauerregen.
    Mayo/Galway: The rivers on
the highest level, Hochwasser in den Flüssen.
    Sligo/Leitrim: Parts of the towns are extensively
flooded, Städte teilweise überflutet.
    Midlands:
The heavy rains bring overflowings..., die schweren Regenfälle führen zu
Überschwemmungen...
    Donegal/Derry: Bright sunny periods. Was soll
das? Unvorstellbar. Sonne?
    Doch es
normalisiert sich wieder. Southeast:
Rain for more than 12 hours, Regen den ganzen Tag.
    Southwest
(Munster mit Cork und Kerry), das sind wir:
    The region will escape the rain! Wie bitte?
Wir sollen dem Regen entgehen?
    Ich halte
die ‘Irish Times’ aus dem Hotelfenster, wir sind von Regen und Nebel
eingehüllt.
     
    Doch was
bedeuten die nassen Füße einiger Reisender gegenüber einer anderen schlechten
Nachricht. Die Kartoffelernte des Jahres ist durch die Feuchtigkeit verdorben.
Das erinnert an die ‘Famine’, die große Hungersnot im vorigen Jahrhundert, in
den Jahren 1845 — 1849. Zwei Jahre lang hintereinander wurde die gesamte
Kartoffelernte von der ‘Cholera’ genannten Kartoffelpest, dem Pilz ‘Phytophtora
infestans’, vernichtet. Die Herrschaft des englisch-schottischen Landadels
hatte in Irland, mit dem Segen der Regierung in London, dafür gesorgt, daß die
einheimischen Bauern verelendeten und in die einseitige Kartoffelproduktion
abgedrängt wurden. Durch miserable Pacht- und Erbgesetze wurde der Grund und
Boden der Einheimischen zu Kleinbauernstellen aufgeteilt, die ihre Besitzer
nicht mehr ernähren konnten. Im Erbfall mußte ‘katholischer’ Grundbesitz zu
gleichen Teilen an die Söhne weitergegeben werden. Der Zukauf ’protestantischen’
Bodens war den irischen Katholiken verboten.
    Weizen und
Fleisch wurden nach England ausgeführt, die Iren mußten sich zunehmend mit der
Kartoffel begnügen.
    Vor der
Hungersnot lebten im dichtbesiedelten Irland acht Millionen Menschen. Durch die
größte soziale Katastrophe des 19. Jahrhunderts in Europa verlor das Land
zweieinhalb Millionen Einwohner, die starben oder auswanderten. Beispielhaft
für die englische Unterdrückung und das Ausnutzen der Notlage war ein gewisser
Major Mahon, der derart rigide vorging, sich das Land seiner Kleinpächter
anzueignen und diese in freier Natur oder in den Armenhäusern krepieren zu
lassen, daß er schließlich von zwei Iren ermordet wurde.
    Inzwischen
ist in einem Stall des ehemaligen Gutshofes der Mahons in Strokestown im County
Roscommon ein Museum zum ‘Great Famine’ durch Präsidentin Mary Robinson
eröffnet

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