Zwischenwelten (German Edition)
reinsteigen und zu zweit wieder raus. Echt klasse!«
Ayse sieht, wie Tio in der Dunkelheit finster das Gesicht verzieht. Sie grinst. »Ich suche mir jetzt einen Platz im Zelt, wir sehen uns nach der Vorstellung.«
Geduldig bleibt Ayse zwei Vorstellungen lang sitzen, bis Tio für den Rest des Nachmittags von seinen Pflichten entlassen wird und er etwas anderes machen kann.
Tio hebt die Zeltbahn für Ayse zur Seite, und zusammen gehen sie nach draußen. »O ja«, fällt ihm ein, »hier regnet es in Strömen.«
Ayse sieht die Pfützen auf dem schlammigen Platz und verzieht das Gesicht.
Tio bedeutet ihr, mit zum Wagen seines Vaters zu kommen.
Ayse starrt auf Tios Beine direkt vor sich. »Ist das deine Hose für die Vorstellung? Die hast du beim letzten Mal nicht angehabt.«
»Nein«. Tio schüttelt den Kopf. »Runji.«
»Runji?« Ayse blickt an sich selbst hinunter. Auch sie trägt noch die Kleidung aus Sandelenbach. Und in der Hand hält sie das Tuch mit der Breischüssel. »Die Sachen … Ich hab gedacht, dass das alles nur ein Spiel wäre … dass die Sachen verschwinden würden, sobald wir hierher zurückkommen.«
Tio geht vor Ayse in die kleine Küche des Wohnwagens. »Dann ist doch mehr dran«, sagt er. Sie setzen sich, eine Flasche Cola und zwei Gläser zwischen sich auf dem kleinen Tisch.
Die Regentropfen trommeln gemütlich auf das Wagendach, und Ayse lehnt sich aufseufzend zurück. »Jedenfalls sind wir beide wohlbehalten hier.« Sie bindet das karierte Tuch auf.
»Was hast du da eigentlich?«, will Tio wissen.
»Brei.« Ayse grinst. »Während deiner Vorstellung hab ich das Brot und den Käse schon gegessen.« Sie schnuppert an der Schüssel. »Hm, riecht eigentlich sehr gut. Auch einen Bissen?«
»Ich hol uns Löffel.«
Zusammen essen sie die Schüssel leer.
Der Brei ist süß und klebrig.
»Gehen wir wieder zurück?«, fragt Ayse plötzlich.
Tio rümpft die Nase. »Von mir aus muss das echt nicht sein.«
»Ich hab Papiere gefunden, Zeichnungen. Als ich in dem unbewohnten Runjidorf war. Es sind Entwürfe für …«
»Schwingen«, ergänzt Tio. »Ich hab …«
»Ja!«, ruft Ayse, »Woher weißt du das denn?«
»Ich hab sie ge…«
»Ich bin heute Morgen nicht mehr dazu gekommen, sie zu holen, denn ich hatte sie in der anderen Welt versteckt, nicht in der, in der ich war, ja und dann, dann sind die Dinge einfach aus dem Ruder gelaufen. Das war ziemlich schade, aber vielleicht komme ich ja wieder dran. Ich will sie nämlich den Salzländern geben.«
Tio beugt sich ruckartig vor und schaut Ayse eindringlich an. »Warum denn, um Gotts willen? Bist du verrückt?«
»Na ja, damit sie sich zumindest ein bisschen revanchieren können. Sie haben keine solchen Waffen.«
»Nein, und das ist auch gut so! Die Salzländer sind immerhin Brandstifter!«
»Ja, ich hab von Weitem ein Feuer gesehen«, sagt Ayse verächtlich. »Was soll das heißen? Es ist doch gut, dass auch mal Runjibauten kaputtgehen. Diese Bande von Saukerlen!«
»Das sind sie überhaupt nicht!« Tio denkt an Hala. »Nicht alle.«
»Ha! Du hast nicht gesehen, was ich gesehen hab.«
»Nein … und du hast nicht gesehen, was ich gesehen hab.«
Mit funkelnden Augen starren sie sich ein paar Sekunden lang an.
Dann lenkt Ayse ein. »Na gut«, sie nickt, »erzähl mal, was du gesehen hast.«
Und Tio erzählt von Hala und von dem Feuer. »Hala hat was von Unglücken gesagt. Ich weiß nicht mehr genau, was es war, aber ich finde es schlimm, wenn Menschen verwundet vom Löschen zurückkommen. Und ihre Anlegestellen werden immer wieder völlig vernichtet, also denk mal nicht, dass bloß Sachen von den Salzländern zerstört werden! Hala hat erzählt, dass die Bauten schon mehrfach in Flammen aufgegangen sind. Und was du gerade gesagt hast, dass sie alle Saukerle sind, das stimmt nicht. Hala hat mir trockene Kleider gegeben …«
»Hala, Hala, Hala!«, schimpft Ayse. «Bis du auch anderen Menschen begegnet oder nur diesem schnuckeligen Mädchen?«
Tio blickt auf. Hört er da Eifersucht in Ayses Worten? Es hört sich an, als würde sie es nicht besonders gut finden, dass Tio einen Teil seiner Zeit in der fremden Welt mit einem anderen Mädchen verbracht hat. Er unterdrückt ein Grinsen und sagt bedächtig: »O ja, sicher. Kivan, ihrem Bruder. Den fand ich nicht so nett. Der war ziemlich arrogant. Nur weil seine Mutter zufällig die Bedeutendste ist.« Tio nennt noch ein paar Namen, erzählt Ayse, wie die Runji aussahen, was sie
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