Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
greifen, ließ sie es und schaute nur. In ihr wuchs ein Gefühl dafür, dass es Verschwendung war, ein Tier zu töten, das den Clan nicht bedrohte und dessen Fell sie nicht verwenden konnte. Noch immer war sie entschlossen, im Schleudern die Beste des Clans zu werden; sie hatte keine Ahnung, dass sie es längst schon war. Ihr Können weiter verfeinern konnte sie nur, wenn sie jagte. Und sie tat es.
Der Erfolg blieb nicht unbemerkt. Unter den Männern des Clans breitete sich Unbehagen aus.
"Nicht weit von der Lichtung, wo wir immer schleudern, habe ich schon wieder einen toten Vielfraß gefunden", berichtete Crug erregt.
"Und auf der anderen Seite vom Grat, unten am Hang, lagen Fellfetzen. Sah ganz nach einem Wolf aus", fügte Goov hinzu.
"Immer sind es reißende Tiere, Fleischfresser, keine weiblichen Totems", bedeutete Broud verwundert. "Grod möchte, dass wir den Mog-ur befragen."
"Hirsche und Pferde, Schafe und Bergziegen, sogar Wildschweine werden immer von den großen Katzen, den Löwen und Hyänen gerissen. Aber wer macht Jagd auf die kleineren reißenden Tiere? Noch nie habe ich gesehen, dass so viele getötet wurden", fuhr Crugs Hand dazwischen. "Wer tötet sie? Wir sind es nicht. Wird Grod den Mog-ur endlich befragen? Kann es ein Geist sein?" Broud unterdrückte einen Schauder.
"Und wenn es ein Geist ist, ist es dann ein guter, der uns hilft, oder ein böser Geist, der unseren Totems zürnt?" machte Goovs fragende Hand.
"Nur in deinem Herzen kann eine solche Frage sich erheben, Goov. Du bist des Mog-urs Gehilfe. Was glaubst du?" gab Crug zurück.
"Ich glaube, es wird nötig sein, uns tief in die Welt der Geister zu versenken, um auf die Frage eine Antwort zu bekommen."
"Du zeigst schon das Gehabe eines Mog-urs, Goov. Niemals eine klare Antwort", stellte Broud mit scherzhafter Gebärde fest.
"Wie sieht denn deine Antwort aus, Broud?" entgegnete Goov. "Ist sie klarer? Wer tötet die Tiere? Kannst du es deuten?"
"Ich bin kein Mog- ur. Mich darfst du nicht befragen."
Ayla, die nicht weit von den Männern an der Arbeit war, unterdrückte ein Lächeln. Jetzt bin ich also ein Geist, aber sie wissen nicht, ob ein guter oder ein böser, dachte sie.
Creb näherte sich unbemerkt. Er hatte alles beobachtet. "Auch ich habe noch keine Antwort, Broud", bedeutete der Mog- ur. "Sie zu finden bedarf der Versenkung in die Tiefen der Geisterwelt. Aber eines will ich dich wissen lassen. Es ist nicht nach Art der Geister."
Geister, dachte der Mog-ur bei sich, konnten glühende Hitze oder eisige Kälte schicken; zuviel Regen oder zuviel Schnee, konnten die Tierherden vertreiben oder Krankheit senden, Donner und Blitz oder Erdbeben bringen, doch sie gaben sich nicht damit ab, einzelne Tiere zu töten. Er ahnte die Hand eines Sterblichen hinter diesem Geheimnis.
Ayla stand auf und ging zur Höhle. Der Zauberer blickte ihr nach. Sie hat sich gewandelt, ging es Creb durch den Kopf. Er gewahrte, wie auch Brouds Blick ihr folgte. Hass blitzte in den Augen des jungen Jägers. Ihm ist es auch aufgefallen, erkannte der Alte und beschwichtigte sich: Vielleicht wird jetzt sichtbar, dass sie nicht eine von uns ist. Sie bewegt sich ganz anders; sie wird erwachsen. Doch irgend etwas Nebelhaftes trieb in Crebs Stirn, und er wusste, dass dies nicht die Antwort war.
Ayla hatte sich wirklich gewandelt. Das Jagderlebnis hatte sie sicherer gemacht und stärker im Geist. Auch hatte sich eine geschmeidige Anmut der Bewegungen herausgebildet, welche die Clan-Frauen nicht zustande brachten. Ayla hatte den lautlos weichen Schritt der erfahrenen Jägerin, beherrschte jeden Muskel des jungen Körpers und besaß Vertrauen zu sich selbst. Ein unerklärlicher, weitschauender Blick stand in ihren Augen, die sich kaum merklich verhüllten, wenn Broud anfing, sie zu drangsalieren. Er hatte dann immer das Gefühl, als sähe sie ihn gar nicht. So eilfertig wie zuvor gehorchte sie seinen barschen Befehlen, doch Angst konnte er nicht mehr in ihr erwecken.
Ihr gelassenes Betragen und ihr Vertrauen zu sich selbst waren weit weniger greifbar, aber Broud spürte beides, und es wurmte ihn wie ihre bewusste Aufsässigkeit früherer Tage. Es war eben, als ließe sie sich herab, seinen Befehlen zu willfahren, als besäße sie ein Wissen, das ihm nicht zugänglich war. Er beobachtete sie, versuchte auszumachen, worin die Wandlung lag, hoffte, etwas zu entdecken, wofür er sie bestrafen konnte, doch nichts fiel ihm ein.
Broud hatte keine Ahnung, wie sie es anstellte, denn
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