Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Geschöpfen, die hinter ihren flachen, fliehenden Stirnplatten das bewusste Wissen vom Urverhalten entwickelt und verfügbar hatten. Jedoch nicht nur die eigenen Erinnerungen lagen dort, sondern sie konnten auch die Erinnerungen derer, die vor ihnen da waren, in sich wachrufen. Und noch ein weiterer Gedankenschritt war möglich. Manche konnten auf gemeinsam Erfahrenes zurückgreifen, sich der Entwicklung ihrer eigenen Art erinnern, und wenn sie tief in sich hineinblickten, konnten sie diese Erinnerung, die bei ihnen allen die gleiche war, verschmelzen und geistig eins miteinander werden.
Und eben dieses Vermögen war im Gehirn des zernarbten, krüppligen Zauberers vollendet entwickelt. Creb, der sanfte, behinderte Creb, dessen übergroßes Gehirn im Kopf die Entstellung seines Körpers verschuld et hatte, hatte als Mog- ur gelernt, die Macht eben dieses Hirnes zu gebrauchen, das er einsetzte, um die Gefährten in der Runde, von denen doch jeder mit sich alleine war, zu einem Geist, zu einem Fühlen zu verschmelzen und dann zu lenken bis hin in die Vergangenheit ihrer Art, wo sie mit ihren Vorfahren eins werden konnten. Er war der Mog-ur. Er besaß wahre Macht - und nicht die Macht des Scheins, die sich nur auf Lichtzauberei oder durch berauschende Mittel erzeugte Verwirrung des Kopfes verstand. Für Creb war dieses nur Beiwerk, eine Einstimmung der Männer auf den Weg, den er sie führen würde.
Und dann durchlebten sie in dieser stillen, von fernen Himmelslichtern erleuchteten Nacht Visionen, die einfach nicht beschrieben werden können, denn sie sahen diese Bilder nicht nur, sondern sie fühlten sie auch in sich, wie sie aufstiegen aus dem Nebel der Erinnerung, der Ahnung und des Unbewussten, mählich zu Vorstellungen gerannen und fassbar wurden. In den Tiefen ihres Geistes fanden sie die unentwickelten Gehirne, sie sahen sich als Meeresgeschöpfe, die in ihrem warmen, salzreichen Lebenselement dahintrieben, sie durchstanden den Schmerz ihres ersten Atemzugs an der Luft, sie kämpften den Kampf der Zweielementigen, als diese sich zu Wasser und zu Land bewegen le rnten.
Da der Höhlenbär das alle verbindende Zeichen war, beschwor der Mog- ur ein Urwesen, das beide Arten, die säugenden Tiere und die Menschen, und zahllose andere hervorgebracht hatte, und verschmolz die Sinne der Männer mit den Anfängen des Bären. Und indem sie die Zeiten durchlebten, als sich die Berge falteten und Feuer spieen, Kälte das Land umklammert hielt, das sich vom Wasser geschieden hatte, traten sie nach und nach in den Körper eines jeden ihrer Vorfahren und wurden jener gewahr, die sich abspalteten und andere Formen bildeten. Es war ihnen, als seien sie ein Teil allen Lebens auf der Erde; und die Ehrfurcht, die daraus erwuchs, selbst für die Tiere, die sie töteten und von denen sie sich nährten, legte den Grund für die geistige Einheit mit ihren Zeichen. Auf diese Weise durchmaßen sie die Zeiten, und erst als sie der ihren nahe kamen, spalteten sie sich auf und wurden ihre Ahnen und schließlich wieder sie selbst. Das alles dauerte eine ganze Ewigkeit, dabei war doch nur eine kurze Zeit verstrichen. Als die Männer - einer nach dem anderen - zu sich selbst zurückgekehrt waren, standen sie leise auf und gingen davon. Sie wickelten sich in ihre Felle und fielen in einen tiefen Schlaf ohne Träume, denn die waren schon verbraucht.
Der Mog-ur war der letzte. Einsam und versunken saß er da. Ja, zwar waren sie fähig, die Leute des Clans, das Vergangene in seiner ganzen Tiefe zu erleben und zu versinken in die Bilder ihrer Abkunft. Doch war da eine Grenze, die Creb spürte, die andere aber nie sehen würden: Sie konnten nicht vorausblicken. Nur er allein hatte eine Ahnung dieser Möglichkeit.
Nur der Mog-ur war sich bewusst, dass das Gegenwärtige das Vergangene vom Kommenden unterschied. Nur er begriff, dass die Leute des Clans nichts Neues schaffen konnten, für das Übermorgen nicht zu planen, nicht vorauszusehen vermochten. All das, was sie im Kopf oder in ihren Händen hatten, war eine Wiederholung dessen, was schon früher getan worden war. Selbst das Vorratsammeln für die kargen Zeiten kam letztlich aus vergangener Erfahrung.
Doch einmal hatte es die Zeit gegeben - schon lange war es her -, als Neues weniger zögernd in die Köpfe kam. Da war ein Stein gefunden worden, zersprungen, scharfkantig und sehr wohl geeignet, das Weichere mit Leichtigkeit zu schneiden; man dachte sich, dass dieses auch mit Absicht
Weitere Kostenlose Bücher