Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Fremdlingen geboren. Wie kann sie da eine Frau des Clans sein?" vermeinte der flötende Mog-ur mit heftigen Widergebärden. "Die Fremdlinge gehören dem Clan nicht an. Nie werden sie ihm angehören. Du hast uns mitgeteilt, dass sie die Totemzeichen des Clans schon trug, als sie zu euch kam. Dies aber sind nicht die Zeichen eines Frauentotems. Wie kannst du sicher sein, dass es die Zeichen des Clans sind? Die Frauen des Clans haben niemals ein Totem des Höhlenlöwen."
"Ich habe nie verkündet, dass sie damit geboren wurde", entgegnete der Große Mog- ur ruhig. "Willst du etwa sagen, dass ein Höhlenlöwe nicht auch eine Frau erwählen kann? Ein Höhlenlöwe kann erwählen, wen er will. Sie war dem Tode nahe, als sie gefunden wurde; Iza hat sie ins Leben zurückgeführt. Glaubst du, ein Kind könnte einem Höhlenlöwen entrinnen, stünde es nicht unter dem mächtigen Schutz seines Geistes? Er gab ihr sein Zeichen mit, damit es keinen Zweifel geben könnte. Die Zeichen auf ihrem Bein sind die Zeichen des Clans. Keiner kann das von der Hand weisen. Warum sollte sie mit den Zeichen des Clan-Totems gezeichnet sein, wenn es ihr nicht bestimmt gewesen wäre, eine Frau des Clans zu werden? Ich weiß nicht, wie es kommt. Es steht mir nicht zu, den Willen der Geister zu erkunden. Mit der gnädigen Hilfe des Höhlenbären vermag ich manches Mal, das zu deuten, was sie tun und wollen. Kann einer von euch mehr? Ich will nur sagen, dass sie eingeweiht ist; Iza hat ihr das Geheimnis der Wurzeln in ihrem roten Beutel anvertraut, und Iza hätte es ihr nicht geoffenbart, wäre sie nicht ihre Tochter. Wir brauchen auf die heilige Feier nicht zu verzichten. Ihr müßt entscheiden, aber tut es schnell."
"Du hast uns gesagt, dass dein Clan glaubt, das Glück stünde ihr zur Seite", warf Norgs Mog- ur ein.
"Ja, es ist so, als brächte sie das Glück dahin, wo sie ist. Seit wir sie gefunden haben, war das Glück stets mit uns."
"Sie hat uns auch an diesem Tag das Glück gebracht. Unser junger Jäger wird sein Leben behalten", teilte der Mog-ur vom Clan des Verwundeten mit. "Ich bin bereit, sie als Medizinfrau anzunehmen. Es wäre höchst jammervoll, müßten wir auf Izas Trank verzichten."
Mehrere Zauberer brummten zustimmend. "Und du?" wandte sich der Große Mog- ur an den Zweiten der Zauberer. "Fürchtest du immer noch, dass es dem Großen Höhlenbären mißfallen wird, wenn Ayla den Zaubertrank bereitet?"
Alle blickten jetzt auf ihn. Wenn dieser mächtige Zauberer sich noch immer dagegen stellte, konnte er genug andere Mog urs auf seine Seite ziehen. Selbst wenn er sich weigerte, an der Feier teilzunehmen, obwohl die anderen bereit waren, den Trank von Ayla anzunehmen, reichte das aus. Alle mussten sich einig sein; eine Spaltung unter ihnen durfte es nicht geben. Er senkte den Blick, während er sich die Frage durch den Kopf gehen ließ. Dann sah er die Männer an, einen nach dem anderen.
"Es ist ungewiß, ob es dem Großen Höhlenbären mißfallen wird oder nicht. Mir ist nicht wohl dabei. Es ist etwas an dieser Frau, das mir nicht geheuer ist. Aber klar ist, dass keiner die hohe Feier missen will, und es scheint, dass sie die einzige ist, die den Trank bereiten kann. Fast würde ich Izas eigene Tochter vorziehen, trotz ihrer Jugend. Doch wenn ihr alle euch einig seid, werde ich es dabei bewenden lassen. Mir ist nicht wohl dabei, ich möchte es betonen, aber euch im Wege stehen möchte ich auch nicht." Der Große Mog- ur schickte fragende Blicke in die Runde und sah allseits zustimmende Gebärden. Mit einem Seufzer der Erleichterung stemmte er sich an seinem Stock hoch und hinkte eilig aus der Grotte. Von Steinlampen geführt, humpelte er durch mehrere Gänge, die sich zu Kammern erweiterten und sich dann verjüngten. Auf die Steinlampen folgten Kienspäne, als er sich den Wohnkreisen der Clans näherte.
Ayla saß neben dem verwundeten jungen Mann in der vorderen Höhle. Durc schlief in ihren Armen. Uba hockte an ihrer Seite. Die Gefährtin des Verwundeten war auch da, die sorgenvollen Augen auf den Jäger gerichtet.
"Ayla, schnell, du mußt dich bereit machen. Es bleibt wenig Zeit", gab Creb ihr mit hastiger Hand zu verstehen. "Du mußt dich eilen! Aber laß keine Handreichung aus. Komm sofort, wenn du bereit bist. Uba, bring Durc zu Oga. Sie soll sich um ihn kümmern. Ayla hat jetzt keine Zeit dazu."
Entgeistert starrten sie beide den Zauberer an. Ayla brauchte einen Augenblick, bis ihr klar war, was er ihr soeben mitgeteilt hatte.
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