Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
ihn Ayla plötzlich mit hastiger Hand. "Ich habe etwas übersehen."
Sie lief zur Feuerstätte zurück und suchte ihren Medizinbeutel heraus. Vorsichtig entnahm sie ihm die beiden Hälften der alten heiligen Schale. Sie hetzte zurück und legte die Stücke neben Iza in das Grab.
"Sie wird sie vielleicht mit sich nehmen wollen, jetzt, wo sie nicht mehr gebraucht werden kann."
Der Mog-ur gab sein Zeichen der Zustimmung. So war es richtig. Richtiger als irgendeiner ahnte.
Nachdem der letzte Stein aufgeschichtet war, legten die Frauen Holz auf und um das Steingrab. Mit einer glühenden Kohle vom Höhlenfeuer wurde das Kochfeuer für Izas Leichenmahl entzündet. Die Speisen wurden auf dem Grab gekocht, und das Feuer würde sieben Tage lang brennen. Durch seine Hitze würde alle Feuchtigkeit aus dem Körper der Toten gesogen; er würde austrocknen und völlig geruchlos werden.
Als die Flammen hochschlugen, hob der Mog-ur zu einer letzten Klage an. So gewaltig waren seine Gesten und Gebärden, dass die Clan-Leute tief im Innersten angerührt wurden. Er berichtete den Geistern von der Liebe der Clan-Leute zu ihrer Medizinfrau, die für sie gesorgt hatte, die über sie gewacht und ihnen durch Krankheit und Schmerz hindurchgeholfen hatte. Es waren die althergebrachten Handformeln, mit denen er zu den Geistern sprach, nahezu die gleichen wie bei jedem Begräbnis, wenn auch manche nur bei den Totenfeiern der Männer gebraucht wurden. Doch sie waren nicht einfach leer gedeutet; durch den tiefen Schmerz des heiligen Mannes erhielten sie einen tieferen Sinn.
Trocknen Auges blickte Ayla über die tanzenden Flammen hinweg auf die gemessenen Bewegungen des einarmigen Mannes und spürte die heftige Bewegung seiner Gefühle in ihrem eigenen Herzen. Der Mog-ur drückte ihren Schmerz aus; es war, als wäre er in sie hineingeschlüpft und spräche durch ihr Hirn, fühlte durch ihr Herz. Sie war nicht die einzige, die seinen Schmerz wie ihren eigenen empfand. Ebra begann schrill zu klagen, und die anderen Frauen folgten ihr. Uba, die Durc in den Armen hielt, spürte, wie ein dünnes Jammern in ihrer Kehle emporstieg, und stimmte in das Klagegetön der anderen mit ein.
Ayla starrte leeren Blicks in die Flammen, zu tief getroffen in ihrem Kummer, um ihm noch Ausdruck geben zu können. Nicht einmal Tränen konnte sie weinen.
Ebra musste Ayla schließlich kräftig schütteln, ehe diese aus ihrer kummervollen Versunkenheit erwachte. Aus verständnislosen Augen sah sie die Gefährtin des Clan-Führers an.
"Ayla, iss etwas. Das ist der letzte Festverzehr, den wir mit Iza teilen."
Ayla nahm die Holzplatte mit dem Essen, schob sich ein bißchen Fleisch in den Mund und hätte sich beinahe erbrochen, als sie ihn hinunterwürgen wollte. Hastig sprang sie auf und stürzte aus der Höhle. Blind stolperte sie durch Gebüsch und Gestrüpp. Zunächst führten ihre Füße sie einen vertrauten Pfad entlang zu einer hochgelegenen Wiese und einer kleinen Höhle, die ihr schon oft Zuflucht und Sicherheit geboten hatte. Doch sie bog vom Weg ab, denn seit sie Brun diesen Ort gezeigt hatte, war ihr, als gehörte er ihr nicht mehr, und die Erinnerungen, die er barg, waren allzu schmerzlich. Statt dessen kletterte sie auf die Anhöhe des Felsvorsprungs, der die Höhle des Clans vor den rauhen Winden schützte, die tobend den Berg hinunterrasten, wenn die Tage kürzer wurden und Schnee und Kältnis kamen.
Von Windstößen geschüttelt fiel Ayla oben auf die Knie, und erst hier, allein mit ihrem unsäglichen Kummer, gab sie in jammervoll klagendem Singsang ihrem Schmerz nach, während sie sich unablässig hin und her wiegte. Creb humpelte aus der Höhle, um nach ihr zu sehen, sah dunkel ihre zusammengekauerte Gestalt hoch oben vor den in den Glanz der untergehenden Sonne eingetauchten Wolken und hörte das dünne, ferne Klagelied. So tief sein eigener Schmerz war, es war ihm unbegreiflich, dass sie in ihrem Elend den Trost der Erdlingsgemeinschaft zurückwies und sich statt dessen in sich selbst zurückzog. Sein sonst so scharfes Einfühlungsvermögen war stumpf vom eigenen Gram. Er spürte nicht, dass sie an mehr litt als an Kummer allein.
Schuldgefühle peinigten Ayla. Sie machte sich Izas Tod zum Vorwurf. Sie hatte die kranke Frau alleingelassen, um mit dem Clan fortzuziehen. Sie war eine Medizinfrau, die eine Kranke, eine Frau, an der ihr Herz hing, in einer Zeit der Not im Such gelassen hatte. Sie fühlte sich schuldig an der schweren Krankheit, die Iza sich geholt
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