Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Brauch und Überlieferung verstoßen. Und schon lange war es her, seit er eine Frau als Gefährtin begehrt hatte. Iza war eine gute Frau. Sie kochte für ihn und besorgte sein Feuer. Und wenn jetzt noch Ayla hinzukäme? Als wenn er schon am Feuer säße, verspürte Creb den Anflug einer sanften Wärme, da er daran dachte, wie ihre dünnen Ärmchen ihn umfangen hatten. Später, ermahnte er sich und vertrieb das Bild, zuerst Ona.
Sie war ein stilles, doch aufmerksames Kind, das ihn oft aus großen, runden Augen anschaute. Alles beäugte sie mit stummer Wissbegierde. Nichts, so schien es, entging ihr. Das Bild einer Eule kam ihm vor Augen. Zu stark? Sie ist ein räuberischer Vogel, dachte er; jagt aber nur kleine Tiere, beschwichtigte er. Denn wenn eine Frau ein starkes Totem hat, dann muss ihr Gefährte ein viel stärkeres haben. Kein Mann, über den nur ein schwacher Schutzgeist wachte, konnte eine Frau mit dem Totem der Eule zur Gefährtin nehmen. Aber vielleicht brauchte sie einen Mann mit einem starken Schutzgeist. Also soll es eine Eule sein, beschloss der Mog- ur. Alle Frauen brauchen Gefährten mit starken Schutzgeistern. Habe ich darum niemals eine Gefährtin bekommen? fragte sich Creb. Wie groß ist der Schutz, den ein Reh geben kann? Izas Totem ist stärker. Viele Sommer waren vergangen, seit Creb das letzte Mal seines Totems, des sanften, scheuen Rehs, gedacht hatte, das, dem Keiler gleich, in diesen dichten Wäldern lebte. Der Zauberer war einer der wenigen, der zwei Totems hatte: Das Zeichen Crebs war das Reh; das Zeichen für den Mog- ur war der Höhlenbär.
Dieses Tier, ein mächtiger Pflanzenfresser, der seinesgleichen an Größe weit überragte, auf zwei Beinen beinahe doppelt so hoch stand wie sie und dessen gewaltiger, zottiger Körper dreimal ihr Gewicht hatte, dieser größte Bär, den die Erde je gesehen hatte, geriet selten in Zorn. Doch einmal hatte es sich begeben, als eine erschrockene Bärin einen krüppligen Jungen angriff, der, in seine Träume vertieft, ihren Jungen zu nahe gekommen war und ihn zu Boden schlug. Erst später fand man den Jungen, blutüberströmt, das halbe Gesicht zerfetzt, ein Auge herausgerissen. Seine Mutter hatte ihm unterhalb des Ellenbogens den nutzlosen gelähmten Arm abgenommen, den die riesige Bärin zermalmt hatte, und ihn gesundgepflegt. Nicht lange danach war das verwachsene und zerschundene Kind Gehilfe des Mog-urs geworden, der dem Jungen verriet, dass der Bär gerade ihn, Creb, erwählt, geprüft und würdig befunden hätte und ihm sein Auge genommen zum Zeichen, dass er von nun an unter seinem Schutz stünde. Creb sollte seine Narben mit Stolz tragen, sie wären das Zeichen seines neuen Schutzgeistes, seines Totems.
Niemals ließ der Große Bär es zu, dass sein Geist von einer Frau geschluckt wurde, die ein Kind gebären sollte. Und Schutz gewährte er erst nach einer Prüfung. Wenige waren hierzu auserwählt; und noch weniger überlebten. Creb hatte sein Auge verloren, doch es schmerzte ihn nicht mehr. Heute war er der große Mog- ur. Und kein Zauberer zuvor hatte je seine Macht gehabt; die Macht des Bären, den der Mog-ur jetzt um Beistand bat.
Die eine Hand um das Amulett geschlossen, das an seinem Hals hing, beschwor er den Geist seines großen Beschützers, ihm den Geist des Totems zu entbergen, der das Fremdlingskind beschützte. Gewaltig schwollen die Adern an seinen Schläfen, sein Auge saugte sich in die leeren Blicklöcher des Bärenschädels, der allmählich sich auflöste und Aylas Gestalt annahm. Und wieder sah er sie auf die Höhle zugehen, bar jeglicher Zagheit und Angst. Und vorher? Offen hatte sie sich zu ihm bekannt, hatte Furcht weder vor seiner Ungestalt noch vor dem Missfallen des Clans gezeigt. Wissbegierig war sie, und ihr Kopf begriff rasch, als wäre sie... Ayla begann zu verschwimmen, und statt ihrer entstand ein Bild, das Creb mit einemmal den Atem raubte. Nein, das konnte nicht sein! Sie wird doch eine Frau, hämmerte es in seinen Schläfen, das ist kein weibliches Totem! Er verdrängte das Geschaute und ließ Ayla wieder ihren Weg zur Höhle nehmen. Doch wieder zerfloss die Höhle mit dem Kind, und zum zweiten Mal begann sich das Unglaubliche zu bilden.
Er sah Höhlenlöwen, ein Rudel war es, das träge in der heißen Sonne der offenen Steppe lag, zwei junge darunter. Das eine Jungtier tollte tapsig durch das hohe Gras, beschnüffelte neugierig die Erdlöcher kleiner Nager und knurrte forsch. Später würde es bestimmt zur
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