Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
schränkte der Mog- ur ein.
"Kann aus mir ein Kind kommen?"
Creb hob die schweren Brauen und dachte an Aylas mächtiges Totem, das auch mit der Hilfe eines anderen Geistes sich wohl kaum überwinden lassen würde. Doch das würde sie bald selbst erfahren.
"Dazu musst du noch größer werden", wich er aus und zeigte bis an seine Schulter.
"Wann ist das?"
"Wenn du eine Frau bist, so wie Ovra."
"Und wann bin ich eine Frau?"
Creb befürchtete allmählich, dass ihr die Fragen niemals ausgehen würden, und beschloss, ihr genauer zu antworten, um zum Ende der Unterhaltung zu kommen.
"Das aller erste Mal, wenn der Geist deines Totems mit einem anderen Geist kämpft, wird Blut aus dir kommen als Zeichen dafür, dass er dich verwundet hat. Und etwas von dem Geist, der mit deinem Totem gekämpft hat, bleibt in dir zurück, um dich bereit zu machen." Der Mog-ur zeigte auf ihren schmächtigen, fellumhüllten Körper. Ihm würden Brüste entwachsen, wie sie Iza hätte, und noch anderes mehr veränderte sich an ihr. Und danach kämpfe der Geist ihres Totems zu bestimmten Zeiten immer wieder mit anderen Geistern. Und wenn dann die Zeit für das Zeichen der Unterwerfung käme und das Blut ausbleibe, dann bedeutet dieses, dass der Geist des Mannes, den sie empfangen, den ihren bezwungen habe und neues Leben in ihr fruchten würde.
Als Ayla beharrlich nachfragte, wann es denn bei ihr soweit sei, gab ihr der Mog-ur, indem er die Finger seiner Hand spreizte, zur Antwort: "Vielleicht, wenn du ab heute achtmal oder neunmal die Zeit der langen heißen Tage hinter dir hast", und zeigte nochmals drei und dann noch vier Finger, "dann werden die meisten Mädchen zu Frauen."
"Aber wie lange ist das bis dorthin?"
Der alte Zauberer stieß einen tiefen Seufzer aus und umfasste Aylas Schulter.
"Gut, wir werden sehen, ob ich es dir zeigen kann", bedeutete er ihr, bückte sich, hob vom Boden einen Ast auf und zog einen Flintsteinschaber aus seinem Beutel. Er glaubte nicht, dass sie verstehen würde, doch möglich wäre es, dass ihre Fragen dann ein Ende hätten.
Tatsächlich war es so, dass Zahlen für die Clan-Leute schwer zu erfassen waren. Sie hatten keine Vorstellung davon, was sie bedeuteten. Die meisten Erdlinge kamen über die Drei nicht hinaus: ich, du und noch einer; und hoben dabei stets die Finger. Mit Einsichtnehmen in das Reich des Unsichtbaren hatte dieses wirklich nichts zu tun; Brun beispielsweise merkte es sofort, wenn eines der einundzwanzig Clan-Mitglieder fehlte.
Er brauchte nur an jeden einzelnen zu denken. Doch aus diesem Greifbaren sich einen Begriff zu machen, bedurfte einer Anstrengung, derer nur wenige fähig waren. Wie könnte dieses ›eins‹ sein und ein anderes auch ›eins‹, wo jedes doch vom anderen zu unterscheiden war! Und beide auch noch ›zwei‹ zu nennen?
Das Unverständnis der Clan-Leute, Greifbares als Vorstellbares zu deuten und in einem Begriff auszudrücken und zusammenzufassen, erstreckte sich auf alle Gebiete ihres Lebens. Für alles hatten sie einen Namen. Sie kannten die Eiche, die Weide, die Fichte, aber sie hatten keinen Begriff; sie hatten kein Wort für Baum. Jede Art von Erde, jede Art des Gesteins, selbst die verschiedenen Arten des Schnees waren ihnen mit Namen bekannt, die sie fast nie vergaßen. Denn sie hatten ein großes Gedächtnis und die Fähigkeit, dort mehr zu speichern. Ihre Ausdrucksweise war beredt und bildreich. Aber wenn gezählt werden musste, dann überließen sie das lieber dem Mog ur, denn er konnte dieses und war ja auch der Zauberer.
Creb hockte sich also nieder, den Stock fest zwischen seinem Fuß und einem Felsbrocken eingeklemmt, und wandte sich zu Ayla.
"Iza glaubt, du bist ein wenig älter als Vorn. Und Vorn hat den Sommer seiner Geburt erlebt, dann den Sommer, in dem er zu laufen lernte, dann den Sommer, in dem er zu sprechen vermochte und dann den Sommer, an dem er die ersten Zähne bekam."
In seiner Rede hielt der Mog-ur viermal inne, um für jeden Sommer, den er nannte, eine Kerbe in den Stock zu schlagen.
"Nun mache ich für dich noch einen Schnitt dazu. Denn so viele Sommer hast du dann gesehen. Und wenn ich meine Hand auf den Stock lege und jeden Finger in eine Kerbe gebe, dann sind sie alle zugedeckt. Schau!"
Ayla blickte angespannt auf die Narben im Holz und hielt die Finger ihrer Hand hoch. Dann leuchtete ihr Gesicht auf.
"So viele Sommer habe ich gesehen", bedeutete sie Creb und hielt ihm ihre Hand hin, alle fünf Finger ausgestreckt. "Aber wie viele sind es
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