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Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde

Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde

Titel: Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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seinerseits zu Tode erschrocken über das Auftauchen von noch einem unbekannten, großen Tier, das vor ihm aufragte. Fauchend versprühte er Speichel und wich zurück, bis er fast auf Aylas Schoß landete. Er spürte die Wärme ihres Beins, erinnerte sich an einen etwas vertrauteren Geruch und kuschelte sich an sie. Es waren aber auch zu viele unbekannte neue Dinge zu sehen.
    Ayla nahm den kleinen Löwen auf den Schoß, hätschelte ihn und machte sanft summende Laute – wie sie es bei jedem anderen Baby auch gemacht hätte. So wie sie es bei ihrem eigenen Kind gemacht hatte.
    Schon gut, schon gut! Du wirst dich schon an uns gewöhnen. Winnie schüttelte den Kopf und stieß ein leises Wiehern aus. Das Löwenjunge auf Aylas Schoß schien nicht bedrohlich, obgleich ihr Instinkt ihr sagte, daß diese Witterung Gefahr bedeutete. Dadurch, daß sie bei dieser Frau lebte, hatten sich ihre Verhaltensmuster ohnehin verändert. Vielleicht war dieser besondere Höhlenlöwe zu ertragen.
    Das junge Tier reagierte auf Aylas Streicheln und Hätscheln, indem es sich suchend nach einer Stelle zum Saugen umtat. Du bist hungrig, nicht wahr, Baby? Sie griff nach der Schale mit der breiigen Brühe und hielt sie dem Löwenjungen unter die Nase. Dieses nahm zwar den Geruch wahr, wußte aber nicht, was es damit anfangen sollte. Ayla tauchte zwei Finger in die Schale und steckte sie ihm ins Maul. Da wußte es, was es zu tun hatte. Wie jedes sehr junge Tier fing es an zu saugen.
    Wie sie in ihrer kleinen Höhle saß, das Höhlenlöwenbaby auf dem Schoß hielt und sich hin und herwiegte, während es an ihren beiden Fingern saugte, befiel Ayla die Erinnerung an ihren Sohn. Sie merkte gar nicht, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen und auf das wuschelige Fell tropften.
In diesen ersten Tagen – und Nächten, wenn sie das Löwenbaby mit auf ihr Lager nahm, um es zu hätscheln und an ihren Fingern saugen zu lassen – entwickelte sich ein Band zwischen der einsamen jungen Frau und dem Höhlenlöwenjungen; ein Band, wie es sich zwischen dem Löwenjungen und seiner natürlichen Mutter nie hätte entwickeln können. Die Wege der Natur waren hart, zumal für die Jungen des mächtigsten aller Raubtiere. Zwar säugte die Löwenmutter ihre Jungen während der ersten Lebenswochen – manchmal bis zu sechs Monaten –, aber von dem Tag an, da sie die Augen öffneten, begannen junge Löwen, Fleisch zu fressen. Allerdings erlaubte die Freßhierarchie innerhalb eines Löwenrudels keinerlei Sentimentalität.
    Die Löwin war eine Jägerin. Anders als andere Raubkatzen, jagte sie innerhalb einer aufeinander eingespielten Gruppe. Drei oder vier Löwinnen bildeten eine furchtgebietende Jagdgruppe, die ohne weiteres einen gesunden, ausgewachsenen Riesenhirsch oder einen Auerochsen zur Strecke bringen konnte. Nur jagte die Löwin nicht für sich, sondern für das Männchen. Das Leittier erhielt stets den Löwenanteil. Sobald es erschien, zog die Löwin sich zurück, und erst nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, erhielten auch die Löwinnen ihren Anteil. Als nächstes kamen die schon größeren männlichen Löwen an die Reihe, und erst danach bekamen die Jungtiere des letzten Wurfs die Möglichkeit, sich um die Reste zu balgen – falls überhaupt etwas übriggeblieben war.
    Wagte ein hungriges Löwenjunges mit dem Mut der Verzweiflung hinzustürzen und, wenn es noch nicht an der Reihe war, sich einen Bissen zu holen, mußte es gewärtig sein, einen tödlichen Prankenhieb zu erhalten. Um solchen Gefahren zu entgehen, führte die Löwenmutter ihren Wurf auch dann häufig von ihrer Beute fort, wenn die Jungen am Verhungern waren. Drei Viertel des Nachwuchses erreichten niemals die Reife. Die das Glück hatten durchzukommen, wurden vom Rudel vertrieben und zu Nomaden; Nomaden aber waren überall unwillkommen, besonders, wenn es sich um Männchen handelte. Weibchen hatten es etwas besser: Sie durften unter Umständen am Rand des Rudels verbleiben, besonders dann, wenn das Rudel nicht genug Jägerinnen hatte.
    Die einzige Möglichkeit für einen männlichen Löwen, Anerkennung zu finden, bestand darin, darum zu kämpfen. Kämpfe dieser Art nahmen häufig einen tödlichen Ausgang. Wurde der herrschende Löwe des Rudels alt oder verletzt, wurde er von einem jüngeren Rivalen aus dem Rudel – oder, was wahrscheinlicher war, von einem einsamen Nomaden – vertrieben. Das herrschende Männchen hatte das Revier des Rudels – das mit dem Geruch seiner

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