Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Duftdrüsen oder dem Urin der Anführerin markiert wurde – zu verteidigen und für den Fortbestand des Rudels als Aufzuchtgruppe zu sorgen.
Bisweilen taten sich ein männlicher und ein weiblicher Nomade zusammen und bildeten den Grundstock eines neuen Rudels, waren dann jedoch gezwungen, den Nachbarrevieren ein eigenes Revier abzuringen. Löwen führten ein höchst gefährliches Leben.
Ayla jedoch war keine Löwenmutter, sondern ein Mensch. Menscheneltern beschützten ihre Nachkommen nicht nur, sie sorgten auch dafür. Baby, wie sie das gefundene Löwenjunge auch weiterhin nannte, wurde behandelt, wie noch nie ein Höhlenlöwe behandelt worden war. Es mußte nicht mit irgendwelchen Geschwistern um Fleischbrocken kämpfen und brauchte keine Prankenhiebe von älteren Angehörigen des Rudels zu fürchten. Ayla versorgte es; sie ging für Baby auf die Jagd. Doch wenn sie ihm auch einen Anteil überließ, auf ihren eigenen verzichten tat sie nicht. Sie ließ zu, daß er an ihren Fingern saugte, wann immer er das Bedürfnis danach hatte, und gelegentlich nahm sie ihn sogar mit auf ihr Lager.
Baby wurde ganz natürlich sauber und kotete stets außerhalb der Höhle, außer zu Anfang, als er dazu noch nicht in der Lage war. Selbst wenn er nur Wasser ließ, verzog er so angewidert das Gesicht, daß Ayla unwillkürlich lächeln mußte. Doch das war für sie nicht der einzige Anlaß zum Lächeln. Babys possierliches Gehabe brachte sie oft dazu, laut aufzulachen. Er liebte es, sich bei ihr anzuschleichen – und war noch begeisterter, wenn sie vorgab, nichts davon zu merken, und überrascht tat, wenn er auf ihrem Rücken landete; manchmal aber überraschte sie ihrerseits ihn, indem sie sich im letzten Augenblick umdrehte und ihn mit den Armen auffing.
Clanskinder wurden immer mit Nachsicht behandelt; Strafen gingen selten darüber hinaus, Verhaltensweise zu übersehen, mit denen die Kinder Aufmerksamkeit zu erregen trachteten. Wurden sie dann älter und sich des Status älterer Kinder und Erwachsener bewußt, fingen die Jüngeren an, sich gegen das Verwöhntwerden zu wehren, es als babyhaft zu betrachten und die Verhaltensweisen der Erwachsenen nachzuahmen. Trug ihnen das den unvermeidlichen Beifall ein, fuhren sie damit für gewöhnlich fort.
Nicht anders verwöhnte Ayla den Höhlenlöwen, besonders zu Anfang; als er dann heranwuchs, trugen seine Kapriolen ihr häufig unabsichtlich Schmerzen ein. Wenn er beim Herumtollen die Krallen ausfuhr oder Ayla bei einem Scheinangriff umwarf, reagierte sie für gewöhnlich damit, daß sie aufhörte, mit ihm zu spielen und häufig auch die Gebärde machte, die beim Clan »Aufhören!« bedeutet hatte. Baby entwickelte großes Feingefühl für ihre Stimmungen. Weigerte sie sich, Tauziehen mit einem Stück Holz oder einem alten Fell zu spielen, versuchte er häufig, sie durch eine Verhaltensweise zu beschwichtigen, die sie für gewöhnlich lächeln machte; oder aber er schnappte nach ihren Fingern, um daran zu saugen.
Genauso begann er auf ihre »Aufhörens«-Gebärde zu reagieren. Da Ayla Haltungen und Benehmen gegenüber größtes Feingefühl besaß, bemerkte sie sein Verhalten und vollführte die »Aufhörens«-Gebärde immer dann, wenn sie wollte, daß er mit irgend etwas Schluß machte. Dabei handelte es sich weniger darum, daß sie ihn bewußt trainierte, als vielmehr um ein wechselseitiges Aufeinandereingehen; aber Baby lernte schnell. Er hielt mitten im Vorwärtspatschen inne und versuchte, auf ihr Signal hin mitten in der Luft eine Kapriole abzubrechen. Für gewöhnlich war er nach einer solchen scharf und gebieterisch vorgebrachten »Aufhörens«Gebärde darauf angewiesen, sich ihrer Zuneigung zu vergewissern, indem er an ihren Fingern saugte; es war, als ob er wüßte, daß er etwas getan hatte, was ihr Mißfallen erregte.
Andererseits entwickelte sie wiederum ein großes Gespür für seine Stimmungen und schränkte ihn physisch nicht ein. Es stand ihm genauso wie ihr oder dem Pferd frei, zu kommen und zu gehen, wann er wollte. Es kam ihr nie in den Sinn, einen ihrer Tiergefährten anzuleinen oder einzusperren. Sie bildeten ihre Familie, ihren Clan, waren Lebewesen, die ihre Höhle und ihr Leben teilten. Sie waren in ihrer einsamen Welt die einzigen Freunde, die sie hatte.
Sie verschwendete bald keinen Gedanken mehr daran, wie befremdlich es dem Clan vorkommen würde, daß sie Tiere bei sich leben hatte; was sie jedoch stets mit neuem Staunen erfüllte war, was für eine
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